Fischland Mord - Küsten-Krimi
Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Ja. Danke.«
»Gut. Ich werde Paul das sagen. Wenn was sein sollte, wissen Sie, wo
Sie mich finden.« Ohne einen weiteren Blick auf das Foto zu werfen,
verabschiedete er sich.
Kassandra wusste nicht, worüber sie sich zuerst Gedanken machen
sollte: darüber, dass Paul ihretwegen Heinz Jung um einen Gefallen gebeten
hatte, oder darüber, dass Jung geglaubt hatte, in ihrer
Mutter seine Schwägerin wiederzuerkennen. Obwohl – so, wie er es
gesagt hatte, hätte sie schwören können, dass das gelogen war. Er
hatte zu lange gezögert. Eine Weile betrachtete sie das Foto, und
Jonas’ Bemerkung zu ihrem unbekannten Vater kam ihr in den Sinn:
Was, wenn es Heinz Jung wäre? Das war bloß ein Witz gewesen.
Kassandra musste sich setzen.
»Ist dein Besuch wieder weg?«, hörte sie wie aus weiter Ferne Arnold
fragen. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Er stand in der Tür und beobachtete
sie.
»Ja, Jonas wollte sich erkundigen, wie’s beim Arzt war«, sagte sie und
hoffte, dass Arnold nicht an der Tür gelauscht und Jungs Stimme gehört
hatte. »Ich bin müde, ich geh schlafen. Wir sehen uns morgen.
Gute Nacht.«
»Nacht.« Arnold ließ sie anstandslos an sich vorbei.
Ruhelos wälzte sich Kassandra im Bett von einer Seite auf die andere. Es war eine verrückte Vorstellung, dennoch bekam sie sie nicht
aus dem Kopf. Es wurde eins, es wurde halb zwei. Gegen zwei griff sie nach ihrem Handy. Sie kannte nur einen Menschen, der vermutlich
über Heinz Jungs Vergangenheit Bescheid wusste.
»Was ist passiert?« Paul klang hellwach, als habe er vorm Telefon
gesessen und gewartet.
»Nichts«, beeilte sich Kassandra zu versichern. »Tut mir leid, dass
ich so spät anrufe, es hat nichts mit Arnold zu tun.« Sie berichtete von dem
merkwürdigen Erlebnis mit Heinz Jung. »Ich weiß, das ist weit hergeholt, aber …« Sie hoffte, dass Paul ihr sofort ins Wort fallen und sagen würde, wie weit.
Stattdessen schwieg er. »Paul?«
»Entschuldige. Ich hab nur nachgedacht. Heinz ist einige Jahre älter
als ich, ich kann dir nicht sagen, was er in seiner Jugend getrieben hat, aber
vor fünfunddreißig Jahren war er ausschließlich an einer Frau interessiert: an
Karin. Er hätte absolut gar nichts riskiert, sie zu verlieren. Heinz ist ganz
sicher nicht dein Vater.«
Kassandra ließ sich ins Kissen zurückfallen. Sie konnte nicht mal
sagen, ob sie erleichtert oder enttäuscht war, denn es hätte immerhin das
Rätsel um ihren Vater gelöst. »Aber an irgendwen hat meine Mutter
ihn erinnert. Ich möchte wetten, es war nicht seine Schwägerin. Merkwürdig, ich
hätte Jung nicht für jemanden mit Geheimnissen gehalten.«
»Jeder Mensch hat welche«, widersprach Paul. »Leg dich schlafen. Du
solltest morgen ausgeruht sein und musst auf dich aufpassen.«
»Hm. Paul?«
»Ja?«
»Was sind deine Geheimnisse?«
Paul lachte leise. »Wenn ich dir das erzähle, sind es keine mehr.«
21
Kassandra stand bewegungslos in Arnolds Zimmer und lauschte. Alles
war ruhig. Nach dem Frühstück hatte sich Arnold auf die Terrasse zurückgezogen,
während Kassandra sich an die Gästezimmer machte. Sie hatte mit dem von Arnold
begonnen, weil sie so davon ausgehen konnte, dass er lange genug mit der
Zeitung beschäftigt sein würde, und in Windeseile sein Bett gemacht und das Bad
geputzt. Sollte Arnold während ihrer Suche unerwartet auftauchen, würde sie
jederzeit sagen können, sie sei gerade mit dem Zimmer fertig geworden.
Sein Handy lag nirgends offen herum, also öffnete sie
die Schublade des Nachttisches. Leer. Auch in den anderen
Schubladen und im Schrank fand sie nichts außer Kleidung, Wäsche und einem Buch
über Malerei auf dem Fischland. Ihr Blick fiel auf Arnolds Jacke, die an einem
Haken an der Tür hing. In der linken Innentasche ertastete sie das Handy. War
sie vorher schon nervös gewesen, schlug ihr jetzt das Herz bis zum Hals, was
sie nicht daran hinderte, das Telefon aufzuklappen und
sich mit fliegenden Fingern durch das Menü zu suchen, bis sie zu
den Anruflisten kam. Da hörte sie Arnolds Krücken auf dem Flur. Schnell tippte
sie sich aus dem Menü zurück auf die Startseite, klappte das Handy zu und
wollte es in die Jacke zurückstecken, doch in ihrer Hektik fand sie die
Innentasche nicht sofort. Erst als Arnold schon die Tür öffnete, ließ sie das
Handy in die Tasche gleiten. Sie hatte keine Zeit mehr, die Jacke zurück an den
Haken zu hängen, und ließ sie zu Boden fallen.
Kassandra war sich
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