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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Kastner
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hatte mich sogar gefragt, was ich gern machen würde. Aber ich hatte keine Antwort parat gehabt. Zu dem Zeitpunkt wollte ich nichts anderes, als abends an der See stehen dürfen und nie wieder in eine Zelle gesperrt werden. Bei der PGH Technik – am Ortsausgang in Richtung Ahrenshoop gegenüber der Mühle – brauchten sie einen Lagerarbeiter, also fing ich da an. Dort war ich im Winter 1978 immer noch, inzwischen mit der Aussicht auf eine Stelle in der Stadtdruckerei Ribnitz. Mein Leben verlief in geregelten Bahnen, und ich achtete darauf, dass speziell Ralf von dem, was weniger geregelt war, nichts mitbekam. An Sascha verschwendete ich diesbezüglich keinen Gedanken. Er war wenig zu Hause, unser Verhältnis wurde nicht nur deshalb immer distanzierter. Wir hatten unsere Differenzen, dennoch habe ich damals nie in Betracht gezogen, dass er mich und die Jungs verraten haben könnte.
    In Wustrow war in jenen Dezembertagen wenig los, die Seefahrtschulstudenten hatten Ferien, und obwohl immer noch Urlauber anreisten, hielt sich ihre Zahl in Grenzen. Angesichts der Wetterlage war das auch ganz gut so. Die Ostsee war zwar noch frei und die Versorgungslage bis Ende des Jahres gesichert, Benzin gab es auch noch genug, aber es war abzusehen, dass Feuerwehr und Seenotrettungsdienst dem Bürgermeister nicht aus Spaß auf Abruf bereitstanden.
    Weihnachten verlief einigermaßen ruhig, jedenfalls wettermäßig, Sascha und ich dagegen stritten am zweiten Feiertag. Sascha wusste, wie er mich provozieren konnte, und ich war noch nicht abgebrüht genug, ihn einfach reden zu lassen. Wir wurden zwar nicht laut, aber weil keiner von uns nachgeben wollte, nahm unser Streit kein Ende. Allerdings machte Sascha bald den Fehler, ein paar Dinge zu sagen, die meinem Vater entschieden zu weit gingen. Er war kurz davor, ihn rauszuschmeißen, und ließ es nur, weil es meine Mutter todunglücklich gemacht hätte und alles nur noch mehr eskaliert wäre. Ich war ganz froh, mich nach dem Abendessen in meine eigenen vier Wände zurückziehen zu können, während Sascha blieb, wo er war, weil er über die Feiertage zu Hause wohnte.
    Am 27. Dezember verstärkten sich Schneefall und Ostwind weiter, und wer nicht rausmusste, blieb drinnen. Schon allein deswegen war ich überrascht, als es abends gegen elf an meiner Tür klopfte. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, aber bestimmt nicht mit meinem Bruder. Saschas Haare waren nass, ein paar Schneekristalle saßen noch darauf, seine Jacke und seine Hose waren ebenfalls durchnässt und schmutzig. Er hatte sich zweifellos geprügelt, was eine ganz und gar ungewohnte Sache war.
    Ich war so verblüfft über den Anblick, dass ich in der Tür stehen blieb. »Was hast du denn gemacht?«, fragte ich.
    Â»Lässt du mich rein?«, erwiderte Sascha in einer Mischung aus Ungeduld und Unsicherheit.
    Ich trat zur Seite und sah zu, wie er sich in einen Sessel fallen ließ und zu mir hochschaute, Verzweiflung im Blick – genauso ungewohnt wie die Tatsache, dass er in eine Schlägerei verwickelt gewesen war. »Du musst mir helfen.«
    Â»Was ist passiert?«, fragte ich misstrauisch und setzte mich ihm gegenüber. »Wer hat dir das blaue Auge und die Prellung am Kinn verpasst?«
    Sascha schluckte. »Markus Brehmer.«
    Dunkel sagte mir der Name was, aber ich konnte ihn nicht einordnen, Sascha musste die Erklärung liefern. Markus Brehmer kam aus Magdeburg und war gelegentlich hier bei seinem Onkel und seiner Tante zu Besuch, seinen einzigen Verwandten, daher verbrachte er anscheinend auch Weihnachten bei ihnen.
    Â»Was hatte er gegen dich? Hast du ihm ein Mädchen ausgespannt?«, wollte ich wissen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Viele Mädchen flogen auf meinen Bruder, kein Wunder bei seinem Aussehen, er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen.
    Sascha musterte mich eine Weile, als überlegte er, was er als Nächstes sagen sollte, er wirkte jetzt ruhiger. »Bedeutet dir eigentlich Karin immer noch was?«
    Die Frage versetzte mir einen Schock. Als ich aus dem Knast gekommen war und feststellen musste, dass Karin Heinz geheiratet hatte, war das schlimm gewesen. Ich hätte eine Vorwarnung durchaus begrüßt, aber darauf hatten aus falscher Rücksichtnahme alle verzichtet. Die Antwort auf Saschas Frage lautete ja. Ich liebte Karin nach wie vor. Die Nachricht von ihrer

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