Fischland-Rache
schlechte Verhältnis zwischen Mirko und seinem Vater war ihnen auf einem silbernen Tablett serviert worden. Das Verhältnis zwischen Mona und Mirko dagegen war spannender. Wie sie angekündigt hatte, half Mona aus. Sie konnte zwar keine fünf Teller auf den Armen balancieren, aber sie hatte während ihres Studiums in einer Bar gearbeitet, sie konnte Cocktails zubereiten und war fix damit, Gläser zu füllen und zu spülen, während Mirko zusammen mit einem Kollegen zwischen den Tischen hin und her flitzte. Mirko und Mona beachteten sich kaum und wechselten anscheinend nur ein Wort, wenn es unbedingt nötig war. Das konnte man dem Zeitmangel zuschreiben oder einer Antipathie oder, wenn Heinz recht hatte, guter Schauspielkunst. Zwischendurch hatte Kassandra das Gefühl, als würden die beiden Blickkontakt aufnehmen, aber sie war sich nicht sicher.
Bevor die Kochshow begann, kam Inga aus der Küche, um ihre Gäste offiziell zu begrüÃen, ihnen guten Appetit zu wünschen â und um sich für die herzliche Aufnahme in Wustrow zu bedanken. Dass das nur für einen Teil der Anwesenden galt, wusste jeder, aber das schien an diesem Abend keine Rolle zu spielen, alle amüsierten sich. Auch während der nächsten Dreiviertelstunde änderte sich daran nichts. Kaum jemand achtete auf die Fernsehschirme, dazu waren alle zu sehr damit beschäftigt, zu essen und zu klönen. An ihrem eigenen Tisch bestritten hauptsächlich Bruno und Paul die Unterhaltung, Heinz und Kassandra sagten wenig. Kassandra versuchte zwar ein paarmal, mit Ralf Peters ins Gespräch zu kommen, aber der antwortete meist einsilbig.
Erst kurz vor dem Dessert kam Mona dazu. Mit einem Seufzer lieà sie sich wenig graziös auf den Stuhl plumpsen. »Ganz schön anstrengend«, sagte sie lachend. Sie streckte ihre FüÃe aus, die in fünfzehn Zentimeter hohen High-Heels mit Plateausohle steckten. »Das nächste Mal bin ich schlauer und ziehe Turnschuhe an wie Mirko.«
Der flitzte unverändert dynamisch von Tisch zu Tisch und räumte Teller ab. Ralf Peters erwiderte das Lachen, und Kassandra hatte den Eindruck, er war so stolz auf seinen Sohn, als hätte der die Auszeichnung Kellner des Jahres bekommen. Ihr Blick glitt von Peters zu Mirko, der an der Bar ein paar leere Gläser abstellte. Automatisch schaute sie von dort hoch zum Bildschirm, auf dem Inga gerade die Minzblättchen aus dem Gefrierschrank nahm, um damit die Crème Brûlée zu verzieren. Die Regie hatte offensichtlich gefunden, dass das keine anspruchsvolle Tätigkeit war, und Anweisung gegeben, statt Inga das Publikum einzublenden. Ein junger Mann in der vorletzten Reihe bekam ein Schälchen serviert und sollte probieren. Genussvoll schloss er die Augen, doch das nahm Kassandra kaum noch wahr, denn eine Reihe über ihm saà eine Frau mit schwarzen Haaren, Brille und einem bunten Seidenschal, die das Geschehen kaum beachtete, sondern weiterhin auf die Showbühne zu Inga sah.
Die Stimmen um Kassandra herum wurden undeutlich, sie fühlte sich wie in einer der Unterwasserwelten in Stralsunds Ozeaneum. Obwohl sie damit hätte rechnen müssen, hatte immer noch die Möglichkeit bestanden, dass sie sich irrten. Jetzt jedoch bestand trotz Perücke und Brille kein Zweifel mehr: Mona war in Schwerin gewesen. Wie in Zeitlupe wandte sich Kassandra vom Bildschirm ab, auf dem schon wieder Inga zu sehen war. Alles schien normal, Heinz unterhielt sich mit Paul und Bruno, Ralf Peters betrachtete nach wie vor seinen Sohn â niemand am Tisch hatte etwas bemerkt. Niemand auÃer Mona, deren Blick sich mit dem von Kassandra kreuzte. Eine endlose Ewigkeit passierte gar nichts, bis Monas Augen plötzlich gröÃer wurden. Kassandra begriff, dass ihr eigener Schrecken ihr überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand und sie verriet. Monas Schock darüber, was Kassandra schon alles wissen musste, war unverkennbar, und Kassandra war versucht, auf das stumme Flehen ihrer Freundin einzugehen. Es ging schlieÃlich um Mona, die immer zu ihr gehalten hatte, selbst in den dunkelsten Zeiten ihrer Scheidung von Sven. Es gehörte nicht viel dazu, Kassandras inneren Kampf zu erkennen. Ihre Hände griffen nervös nach ihrem Glas, und sie hatte wohl auch ein Geräusch von sich gegeben. Am Rande bekam sie mit, dass Paul sie ansah und dass jetzt auch Heinzâ Aufmerksamkeit ihr galt. Beide mussten
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