Fischland-Rache
ersichtlich.«
»Du hast schon angefangen?«, fragte Paul belustigt und klang fast wie früher.
»Ich hatte sonst nichts weiter zu tun. Meine Gäste stehen leider nicht Schlange um diese Jahreszeit.«
Paul fasste in seine Hosentasche und förderte zwei Schlüssel zutage. »Wenn du heute noch nicht verplant bist, wie wärâs mit einem Ausflug nach Stralsund? Meine Mutter hat mir Saschas Zweitschlüssel überlassen, die er bei ihr deponiert hatte. Ich werde später seine Wohnung auflösen müssen. Sie kann das nicht mehr, und soweit sie weiÃ, hatte Sascha keinen ihm nahestehenden Menschen, der das übernehmen würde.«
»Die Polizei wird nicht glücklich sein, wenn wir bei Sascha herumwühlen. Falls wir überhaupt reinkommen. Auch wenn er nicht da erschossen wurde, könnte ich mir vorstellen, dass seine Wohnung für die Untersuchungen versiegelt ist. Ganz abgesehen davon, dass die Polizei vermutlich selbst schon alles von oben nach unten gekehrt hat.«
»Wir müssen irgendwo anfangen, und die derzeitige Staatsmacht kennt die Eigenheiten meines Bruders nicht so gut wie ich. Er wird bestimmte Verhaltensmuster kaum abgelegt haben. Darin, an unseren Gewohnheiten festzuhalten, sind ⦠waren wir uns ziemlich ähnlich. Und ob die Wohnung versiegelt ist, sehen wir nur, wenn wir hinfahren.«
»Ja, gut, aber nicht sofort.«
Ein Anflug von Ãrger überschattete Pauls Gesicht. »Da Heinz bis jetzt nicht zurück ist, kann man davon ausgehen, dass er einem Haftrichter vorgeführt wurde und in U-Haft sitzt. Worauf willst du warten?«
»Du siehst müde aus. Es bringt wenig, wenn du in Saschas Wohnung die Hälfte übersiehst, weil dir Schlaf fehlt.«
Paul entspannte sich wieder. Er stand auf und strich mit dem Zeigefinger über Kassandras Wange, eine Geste, die sie liebte. »Entschuldige. Ich bin müde, du hast recht. Kann ich mich zwei Stunden hier aufs Ohr legen?«
Kassandra nickte nur. Als er auf dem Sofa eingeschlafen war, stand sie längere Zeit in der Tür zum Wohnzimmer und betrachtete ihn. Er hatte die Mordnacht mit keinem Wort erwähnt, hatte nicht versucht, ihr etwas zu erklären, hatte sie auch kein zweites Mal gefragt, ob sie ihm vertraute. Noch vor drei Tagen jedoch wäre er nie auf die Idee gekommen, zu fragen, ob er sich hinlegen durfte. Er hätte auch nie geklingelt. Er hielt also einen gewissen Abstand. Kassandra dachte daran, wie er im letzten Sommer ihr Fels in der Brandung gewesen war. Er hatte ihr geholfen, bedingungslos und ohne Fragen zu stellen.
Während sie noch dastand, wurde Pauls Schlaf unruhig. Er stöhnte auf, drehte sich von der einen auf die andere Seite, gleich darauf wieder zurück und schlieÃlich auf den Rücken. Kassandra trat näher und legte ihre Hand auf seine Brust. Sie spürte sein Herz rasen, als wäre er gerannt. Im Schlaf griff er nach ihrer Hand, hielt sie fest â und wurde ruhiger. Sie lieà sich neben dem Sofa auf dem Boden nieder und blieb dort sitzen, bis sie ihn drei Stunden später weckte.
»Was weià deine Mutter über Saschas Leben?«, erkundigte sich Kassandra auf dem Weg nach Stralsund.
»Wenig. Dietrich und Harms waren gestern da, um mit ihr zu reden, meine Mutter meinte anschlieÃend, dass sie das Gespräch wohl unergiebig fanden, was mich nicht wundert. Sascha kam ab und an zu Besuch, immer allein, sie war selbst nie bei ihm. Er hat ihr erzählt, dass er im Immobiliengeschäft ist und sich gelegentlich mit einer Frau trifft â nicht immer mit derselben, jedenfalls wechselte der Name öfter mal. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er auf Fragen nicht antwortete, auf die er nicht antworten wollte. Entweder er erzählte was von sich aus â oder gar nicht.«
Kassandra entdeckte immer mehr Ãhnlichkeiten zwischen Sascha und Paul, der wissen wollte, was sich während seiner Abwesenheit sonst noch getan hatte. Sie erzählte von Mona und Inga und deren vermeintlicher Affäre mit Mirko.
»Mirko und Inga?«, wiederholte Paul. »Warum nicht? Irgendwie passen die zusammen. Beide ein bisschen verrückt. Wenn ich auch nicht weiÃ, ob ich Mirko jemanden wie Inga wünschen sollte. Der muss sich selbst noch finden, trotz seiner neunundzwanzig. Manche brauchen dazu eben länger.«
»Warum nicht, fragst du?« Kassandra war empört. »Weil Mona Ingas Freundin
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