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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Kastner
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erpresst.«
    Â»Weil er schwul ist? Wegen so was ist doch heute niemand mehr erpressbar. Sieh dir Inga an, ihr buntes Liebesleben ist Programm, je exotischer, desto besser, das ist gut fürs Geschäft.«
    Â»Nicht wenn man mit der Tochter eines sehr konservativen, sehr katholischen CSU -Staatssekretärs verheiratet ist, zwei reizende Kinder hat und trotzdem anderweitiges Vergnügen sucht. Ich hab natürlich keine Ahnung, ob Clemens das tut, aber wenn die Affäre mit Steffen keine einmalige Sache war, wäre es immerhin denkbar.«
    Dem hatte Kassandra nichts entgegenzusetzen. Die Familienverhältnisse von Clemens Meisner waren ihr bis eben nicht klar gewesen, doch sie verstand, dass es in dem Fall nicht nur um ihn selbst ginge.
    Inzwischen waren sie vor dem weit geöffneten Seitenportal der Kirche angekommen. Drinnen war es so voll, dass sie kaum vorankamen, nachdem sie ihre Eintrittskarten gekauft hatten. Sie schoben sich gerade bis zur Hälfte des kurzen Ganges zum Hauptschiff vor, da drängelten von hinten noch ein paar Nachzügler. Einer davon trat Paul in die Hacken. Der fluchte leise und drehte sich um.
    Der Endvierziger mit der braunen lockigen Künstlermähne, die ihm ebenso gut stand wie Frack und Fliege, trug eine dicke Mappe unter dem Arm und zuckte zurück, seine Augen weiteten sich eine Sekunde lang. Kassandra sah, dass Paul etwas sagen wollte, doch da entschuldigte sich Clemens Meisner und zwängte sich an ihnen vorbei weiter nach vorn.
    Â»War das nun ein zerstreuter Musiker mit Lampenfieber, oder hat er sich erschrocken, ausgerechnet dich hier zu sehen?«, wollte Kassandra wissen.
    Â»Sehr gute Frage, Winnie Winkelmann.« Auch wenn Pauls Ton scherzhaft klang und er wieder auf die Agentenserie anspielte, blieb sein Blick, der Meisner folgte, ernst.
    In einer der Bänke entlang des Seitenschiffes fanden sie wider Erwarten doch noch Platz, weil alte Freunde von Paul für sie zusammenrückten. Das Gewisper in der Kirche verstummte, kaum dass sie saßen, und gleich darauf erklangen die ersten Töne. Clemens Meisner begann mit Bachs »Toccata«. Minutenlang lauschte Kassandra der grandiosen Musik, verlor sich in den zugleich weichen wie kraftvollen Klängen der Orgel und ließ dabei selbstvergessen den Altarraum zu ihrer Linken mit den fünf Rosettenfenstern auf sich wirken, die die dunkle Nacht aussperrten und es drinnen gleichzeitig warm und sicher scheinen ließen. Auf dem Altar brannten zwei hohe weiße Kerzen, das Altarbild zeigte die Rettung des sinkenden Petrus, ein Motiv, das ebenso ein Sinnbild war wie die Segelschiffmodelle, die auf der Nordempore direkt über ihnen und der Südempore gegenüber hingen. Seit langer Zeit wurden Kirchen an der Küste mit Votivschiffen als Symbolen der Seefahrt geschmückt. Kassandra war keine Kirchgängerin, aber diese Geste, die die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Heimat so deutlich zeigte, rührte sie. Versonnen betrachtete sie das dritte Schiff, einen dreimastigen Klipper ohne Segel, der etwa in der Mitte der Kirche von einem der kunstvoll mit Weinreben und Blättern bemalten Rundbogen herabhing. Er hob sich klar vor dem schwarzen Nachthimmel hinter dem doppelten Spitzbogenfenster ab, sie konnte jedes Detail erkennen, die Flaggen, die kleinen Beiboote und sogar den winzigen Anker. Am Heck prangte in goldener Schrift der Name des Klippers: »Hoffnung«.
    Ihr Blick glitt zu Paul, der die Augen geschlossen hielt und völlig entspannt dasaß. Er schien vergessen zu haben, dass sie nicht nur hier waren, um Werke von Bach, Liszt oder Brahms zu hören. Kassandra wagte nicht, sich zu rühren, weil Paul es bemerken und aus seiner Ruhe gerissen werden könnte. Während sie ihn ansah, wurde ihr bewusst, wie wenig sie in den letzten Stunden daran gedacht hatte, dass er etwas vor ihr verbarg, sondern nur daran, dass sie gemeinsam dahinterkommen wollten, was mit Sascha geschehen war.
    Clemens Meisner spielte eine Stunde lang, und selbst nachdem der letzte Ton verklungen war, hallte die Musik noch lange nach. Kassandra hatte keine Vorstellung davon, was für ein Mensch er sein mochte, aber an seinem Instrument war er Gott. Niemand redete laut nach dem Konzert, die meisten erhoben sich nur langsam aus den Bänken und gingen bedächtig auf das Kirchportal zu, das sie wieder in die reale Welt entlassen würde. Auch Paul ließ sich Zeit, sodass sie am Ende die Letzten

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