Fischland-Rache
waren und statt direkt nach drauÃen noch ein paar Schritte in das Hauptschiff gingen. Kassandra schaute zur Orgel und bemerkte, dass Clemens Meisner von der Empore heruntergekommen war und sich gerade von der Pastorin verabschiedete. Er kam durch den Mittelgang auf sie zu, sein Blick traf auf Kassandras, wanderte weiter zu Paul â und wie vorhin zeichnete sich etwas Undefinierbares auf seinem Gesicht ab. Es verschwand jedoch genauso schnell, wie es gekommen war. Er lächelte und streckte die Hand aus, als er sie erreichte.
»Paul? Mensch, Paul, warst du das, dem ich vorhin auf die Hacken getreten bin? Entschuldige, ich war mir in meiner Hektik nicht sicher, war spät dran und hatte auch noch meine Partituren im Wagen liegen lassen. Ist ja ewig her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Und immer noch ganz in Schwarz! Bloà deine Haare habenâs nicht geschafft, was? Bist ganz schön grau geworden.« Meisner lachte. »Ich hab für ein paar Leute einen Tisch bei Inga Lange reserviert, die soll ja enorm gut kochen. Komm doch auch. Mit Begleitung natürlich.« Mit einem einzigen Wimpernschlag sah er zu Kassandra und wieder zu Paul. »Alles klar?«
»Alles klar«, bestätigte Paul lächelnd.
»GroÃartig, muss nur kurz ins Hotel, danach stoÃe ich zu euch. Bis gleich!« Clemens Meisner verschwand in der Nacht.
Ihm nachsehend, fragte Kassandra: »Warum wohnt er im Hotel? Leben seine Eltern nicht mehr?«
»Doch, aber nachdem das erste Enkelkind da war, sind sie ebenfalls nach Süddeutschland gezogen, um in der Nähe zu sein«, erklärte Paul.
Gemeinsam verlieÃen sie die Kirche und machten sich auf den Weg zu Inga. Mit einem Mal lachte Kassandra auf.
»Hab ich was verpasst?«, erkundigte sich Paul.
»Nein. Ich habe mich nur gefragt, ob Clemens mit Violetta verwandt ist. Er redet beinah so schnell wie sie.«
Paul blieb stehen und überlegte kurz, dann sagte er, ohne eine Miene zu verziehen: »Um ein paar Ecken, ja.«
Im »FischLänder« war es jetzt, am Sonntagabend, fast so voll wie eben in der Kirche. Kassandra sah Mona in ihrem ausgefallenen Designer-Kostüm vom Barhocker gleiten, als sie zur Tür hineinkamen. Sie wirkte nicht besonders glücklich, auf dem Tresen vor ihr stand ein leeres Martini-Glas. Unwillkürlich schaute sich Kassandra nach Mirko um, konnte ihn aber nirgends entdecken.
»Hallo, ihr zwei«, begrüÃte Mona sie, bevor sie sich direkt an Paul wandte. »Ich ⦠tut mir leid, das mit deinem Bruder.«
Paul nickte. »Danke. Hat es sich noch nicht bis zu dir rumgesprochen, dass es das nicht muss?«
Mona sah ihn mit groÃen Augen an und wechselte abrupt das Thema. »Ist schlecht mit einem Tisch heute Abend. Hier findet nämlich gerade das Treffen der Giganten statt: Berühmter Organist trifft auf berühmte Köchin.« Ihre Stimme klang etwas schleppend, was Kassandra zu der Vermutung veranlasste, dass der Martini nicht das Einzige war, was Mona bisher getrunken hatte.
»Dann sind wir ja richtig. Clemens war so freundlich, uns einzuladen«, sagte Paul.
»Ups«, machte Mona. »Da hatte ich wohl den berühmten Schriftsteller vergessen. Entschuldige.«
»Hast du nicht. Clemens weià nichts davon, und das soll auch so bleiben, wennâs geht.«
»So viele Geheimnisse ⦠Kassandra, ich weià nicht, wie du das hier aushältst.«
Kassandra sah genauer hin und erkannte, dass Mona nicht betrunken, sondern nur zutiefst deprimiert war. Während sie sie beim Arm nahm, sagte sie leise zu Paul: »Ich glaub, ich kümmere mich mal besser um sie, bin so schnell es geht zurück.«
Mona lieà sich widerstandslos von ihr in Richtung der Toiletten schieben, wo sie sich kraftlos gegen die Wand lehnte. Ihr hellgrünes Kostüm biss sich mit dem kräftigen Türkis der Fliesen, was sie eigentlich im Spiegel sehen musste. Doch wo sie sonst entsetzt zurückgewichen wäre, weil sie selbst in den ungewöhnlichsten Situationen ein ausgesprochenes Gespür für Ãsthetik hatte, blieb sie einfach dort stehen.
»Diesmal haben sie mich nicht bemerkt«, flüsterte sie. »Heute Mittag hab ich mit eigenen Augen gesehen, wie Inga und Mirko sich in den Armen gelegen haben. Diesmal kann sie sich nicht rausreden.«
»Hat sie es denn versucht?«
Mona schüttelte vehement den Kopf. »Hab ihr keine Gelegenheit dazu
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