Fischland-Rache
gegeben, sie weià nicht mal, dass ich sie erwischt hab. Das Absurde ist, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich es überhaupt erwähnen soll. Ich hätte einfach gehen müssen. Stattdessen bin ich immer noch hier. Wie dämlich kann ein Mensch sein?«
»Das hat nichts mit dämlich zu tun«, sagte Kassandra. »Wenn sich Inga für Mirko entschieden hätte und dich nicht mehr wollte, hätte sie es vermutlich gesagt.«
Mona starrte ihr Spiegelbild an. »Du meinst, ich soll warten, bis sie ihre Wahl trifft?«
»Wenn du es nicht ertragen kannst, geh. Sofort. Ohne dich länger zu quälen. Wenn du glaubst, dass ihr trotzdem noch eine Chance habt, zeig ein bisschen Geduld. Wahrscheinlich ist es für einen Paradiesvogel wie Inga nicht leicht, mit alten Gepflogenheiten zu brechen.«
»Pff«, machte Mona, zog nach einem weiteren Blick in den Spiegel eine Grimasse und stieà sich von der Wand ab. »Ich muss drauf achten, was ich anziehe«, murmelte sie, ehe sie Kassandra wieder ansah. »Wenn du wüsstest, Paul belügt dich, was würdest du tun? Rein hypothetisch natürlich, er würde dich niemals belügen«, fügte sie schnell hinzu.
»Ich würde versuchen zu verstehen, warum, und wennâs bis ans Ende meiner Tage dauerte«, antwortete Kassandra spontan, obwohl Monas Bemerkung sie mehr getroffen hatte, als ihre Freundin ahnen konnte. Noch während sie es sagte, erkannte sie, dass das die Wahrheit war.
Mona hob die Brauen. »Muss Liebe schön sein.«
»Du bist ja schon wieder obenauf«, stellte Kassandra fest. »Wo steckt Mirko eigentlich?«
Mona brachte ein Lachen zustande. »Hat sich vor ein paar Stunden krankgemeldet, der arme Mann. Und jetzt raus hier. Du hast eine Verabredung mit einem berühmten Organisten, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Ich bin bloà die Begleitung der Verabredung«, sagte Kassandra. »Vielleicht merkt Meisner nicht, wenn eine Person mehr an seinem Tisch sitzt, komm doch mit.«
Der Gegenstand ihres Gesprächs war inzwischen eingetroffen. Clemens Meisner hatte sich umgezogen und stand, ein Bier in der Hand, mit ein paar Leuten an der Bar, von denen Kassandra zumindest Thomas Hartmann näher kannte. Thomas betrieb eine Physiotherapiepraxis im erst kürzlich eröffneten Strandquartier, in dessen Erdgeschoss sich Geschäfte und ein Bistro befanden, und war, wie sie nun erfuhr, ein ehemaliger Schulfreund von Meisner. Das galt auch für Olaf und Bettina Hecht, die in Niehagen ein lauschiges Café hatten. Etwas abseits von ihnen unterhielt sich Paul mit einer brünetten Frau. Wie sich zeigte, war sie Meisners Managerin Claudia Berghuber, die es erstaunlicherweise fertigbrachte, von der vorausgegangenen Tournee zu erzählen und gleichzeitig mit geübtem Auge Monas Schmuck zu taxieren.
»Clemens hat praktisch darauf bestanden, dass ich mal seine Heimat kennenlerne«, sagte sie mit unverkennbar süddeutsch gerolltem R, nachdem Paul die Vorstellung übernommen hatte. »Man kennt ja viel zu wenig von diesem Teil des Landes. Wismar und Rostock fand ich ungeheuer interessant. Ja, und Ihr Fischerdörfchen ist ganz ⦠reizend.«
»Freut mich, dass es Ihnen gefällt«, antwortete Paul. »Ist sicher auch für Clemens nett, mal wieder in der Gegend zu sein. Hat er zwischen seinen Konzerten wenigstens Zeit, sich anzusehen, was sich alles verändert hat?«
Offenbar hatte Meisner den letzten Satz gehört, er trat zu ihnen. »Nicht viel. Bin ja jeden Abend woanders und muss proben. Aber zu dir, alter Junge. Was machst du so? Immer noch ⦠Fische?«
Kassandra verstand zwar die Frage nicht, sie klang jedoch etwas überheblich. Was sie erst recht nicht nachvollziehen konnte.
Paul legte den Kopf schief. »Wie manâs nimmt. Nicht so wie früher.«
»Fische?«, erkundigte sich Kassandra nun doch. »Was hattest du mit Fischen zu tun?«
Pauls Mundwinkel zuckten. »In den Neunzigern hatte ich eine Fischbude am Hafen.«
»Du hattest â¦Â« Kassandras Blick sprach Bände, auch wenn ihr die Worte fehlten.
Dann lachte Paul, und Kassandra vergaà die Fische, weil alles, was in den letzten Tagen geschehen war, von ihm abfiel. Sein Lachen war das des Mannes, den sie vor einem knappen halben Jahr kennengelernt und sofort faszinierend gefunden hatte. Alles um ihn herum schien heller zu werden.
»Du
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