Fischland-Rache
gewünscht hätte.«
Kassandra nickte beklommen. »Ich mir auch. Es tut mir sehr leid wegen Sascha.«
Margarethe Freese nickte und sah von ihr zu Paul. »Danke. Das ist nicht selbstverständlich.« Sie bat Paul, Kaffee zu kochen, und führte Kassandra ins Wohnzimmer. Der Raum war etwas altmodisch, aber gemütlich eingerichtet, jede Menge Pflanzen auf der Fensterbank zeugten davon, dass Pauls Mutter einen grünen Daumen hatte. Auf einem niedrigen Bücherschrank standen ein paar gerahmte Fotos, die Kassandra neugierig von Weitem beäugte. »Wenn Sie möchten, schauen Sie sich die Bilder gern an«, sagte Margarethe Freese, die ihren Blick bemerkt hatte.
Kassandra trat näher und entdeckte auf einem der Fotos sofort eine jüngere Ausgabe von Paul, der darauf etwa Mitte dreiÃig sein mochte. Seine Haare waren noch ganz dunkel, und er stand am Strand an der Seite eines attraktiven älteren Mannes, der »offiziell« Alexander Hardenberg war. Pauls Vater. Die beiden lachten einem dritten Mann zu, der ein Stück in Richtung Steilufer entfernt stand. Erst auf den zweiten Blick identifizierte Kassandra ihn als Bruno.
»Das ist das letzte Foto von meinem Mann«, erklärte Margarethe Freese. »Es entstand im März 1992, kurz vor dem Brand in der Seefahrtschule. Anderthalb Jahre später war er tot.«
Kassandra wusste, dass Joachim Freese sein Beruf so am Herzen gelegen hatte, dass er die SchlieÃung der Schule im selben Jahr, aus dem die Aufnahme stammte, nicht hatte verkraften können. Nicht der Brand war ursächlich für die SchlieÃung gewesen, das hatte andere Gründe gehabt, doch für Joachim Freese machte das keinen Unterschied. Er war an einem Infarkt viel zu früh gestorben.
Neben diesem Foto stand ein weiteres, das einen jüngeren Sascha zeigte. Beim Vergleich der beiden Bilder erkannte Kassandra die groÃe Ãhnlichkeit zwischen ihm und Joachim Freese â dennoch war unverkennbar Pauls Bindung an den Vater stärker gewesen, denn ein drittes Foto zeigte die gesamte Familie, und der Abstand zwischen Sascha und Joachim Freese war eindeutig mehr als nur räumlicher Natur.
»Wie geht es Paul?«, fragte Margarethe Freese und merkte Kassandra wohl ihr Erstaunen bei dieser Frage an. »Es ist nicht seine Art, seine Gefühle jedem auf dem Silbertablett zu servieren«, erklärte sie. »Das schlieÃt seine Mutter mit ein, fürchte ich, auch wenn er mit dem einen oder anderen nicht hinterm Berg hält.«
War da ein leiser Vorwurf aus diesen Worten herauszulesen? Kassandra wusste nicht recht, inwieweit sie die Frage beantworten sollte oder konnte. »Es ⦠ist schwer für ihn«, erwiderte sie vage.
Margarethe Freese schürzte die Lippen und musterte Kassandra prüfend. »Ich war ein bisschen skeptisch, als ich hörte, wie viel jünger Sie sind, aber er scheint eine gute Wahl getroffen zu haben. Das freut mich für ihn. Sascha hatte wohl nie solches Glück.«
In diesem Augenblick kam Paul mit einem Tablett ins Zimmer, sodass Kassandra eine Erwiderung erspart blieb.
Während des Kaffeetrinkens sprachen sie über Alltägliches. Margarethe Freese tat es sichtlich gut, nicht allein zu sein und zu grübeln. Sie bekam etwas Farbe im Gesicht, die sich jedoch wieder verlor, als sie etwas schwerfällig aufstand, um aus einem Vertiko ein Blatt Papier zu holen, das sie Paul reichte. »Das ist die Traueranzeige, die morgen in der Zeitung erscheint. Ich habe ja kein Adressbuch von Sascha gehabt, die Polizei sagte, sie hätten in seiner Wohnung keines gefunden. Sein Handy brauchen sie noch, aber ich hätte auch nicht völlig fremde Leute anrufen wollen. Also muss die Anzeige genügen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich deinen Namen mit daruntergesetzt habe.«
Kassandra beugte sich zu Paul hinüber und las den Text. Da stand ein schlichtes: »Wir nehmen Abschied von Sascha Freese«. Es folgten Geburts- und Sterbedaten und darunter der Satz: »Mögest du da, wo du jetzt bist, glücklich sein.« Kassandra musste schlucken, weil ihr die Auseinandersetzung in den Sinn kam, in der Paul gesagt hatte, sein Bruder solle zur Hölle fahren â und Sascha gedroht hatte, ihn mitzunehmen. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Paul seine Mutter ungläubig in Augenschein nahm.
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte er. »Du willst Sascha in Wustrow beerdigen
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