Fischland-Rache
ich Herrn Jung nerve, ich werde ihm auf jeden Fall noch mal auf den Zahn fühlen, und es kann nicht schaden, auch Clemens Meisner dabei zu erwähnen. Vielleicht schlieÃt er ihn aus dem erwähnten Grund aus, vielleicht steckt aber auch was anderes dahinter. Man kann nie wissen.«
Dietrich Worte hätten ihr ein Licht am Ende des Tunnels aufzeigen sollen, aber Kassandra war noch immer so mitgenommen von Karins Brief und den möglichen Konsequenzen, dass diese Gefühle alles andere überschatteten. Was Dietrich als Nächstes sagte, hob ihre Stimmung genauso wenig.
»Apropos âºman kann nie wissenâ¹: Inzwischen habe ich die beiden Namen aus dem Notizbuch überprüft, die Sie mir genannt hatten, Herr Freese. Eine der Personen ist längst verstorben, die andere war bis letzten Freitag auf einer Donaukreuzfahrt. Das führte also in eine Sackgasse. Und dann ist da noch was, was Sie wissen sollten. Auch wenn die Ermittlungsarbeit natürlich noch nicht abgeschlossen ist, wird es immer schwieriger für mich. Das Verständnis von Vorgesetzten und Kollegen schwindet, die lassen mich hauptsächlich deswegen machen, weil ihnen klar ist, wie unleidlich ich werden kann, wenn ich nicht alles bis zum bitteren Ende verfolgen darf â und weil sie wegen des Unfalls immer noch in gewissem Maà Rücksicht auf mich nehmen.«
Kassandra hätte schwören können, dass Dietrich an dieser Stelle eine Grimasse zog.
»Die Situation wäre etwas einfacher, wenn Bengt Johannsen hier wäre, der meinen Methoden und meiner Nase gegenüber ein bisschen aufgeschlossener ist. Ich hätte einen ranghöheren Fürsprecher in ihm, aber er ist seit einiger Zeit krank, und sein Gesundheitszustand hat sich leider noch verschlechtert, sodass von dieser Seite keine Unterstützung zu erwarten ist. Soweit ich kann, tu ich trotzdem weiter mein Bestes.«
»Danke«, flüsterte Kassandra und verspürte einen jähen Stich schlechten Gewissens, dass sie ihm keinen reinen Wein einschenkte.
Nachdem Dietrich sich verabschiedet hatte, starrte Kassandra auf das iPhone, das zwischen ihnen auf dem Tisch lag. Niemand sagte etwas, bis Paul fragte: »Was ist da noch passiert bei Heinz?«
Kassandra sah hoch, direkt in seine Augen, und die Erkenntnis überkam sie mit einem Schlag. Deutlicher, als ihr lieb war, erinnerte sie sich daran, dass Paul am Morgen nach Heinzâ Verhaftung angedeutet hatte zu wissen, warum Heinz Sascha getötet haben könnte â auch wenn er sich gerade noch rechtzeitig zurückgehalten hatte, das auszusprechen. Paul kannte Karins Geschichte.
»In der JVA ist nichts passiert«, sagte sie flach.
Paul hob nur die Brauen, Bruno war weniger zurückhaltend.
»Wo sonst? Mädchen, machâs nicht so spannend!«
Kassandra sah Bruno an und überlegte. »Du hast Sascha mal ein gewissenloses Arschloch genannt«, entgegnete sie. »Hast du das nur auf seine Erpressungen und das Denunzieren bezogen?«
»Damals schon«, entfuhr es ihm.
Kassandra merkte sofort, dass er diese zwei unbedachten Worte am liebsten wieder zurückgenommen hätte. Er ahnte offenbar, worauf sie anspielte, und seine ÃuÃerung lieà nur den einen Schluss zu, dass Paul ihm von Karin erzählt hatte. Ihr Blick huschte zu Paul, der sie ähnlich erschrocken ansah wie Bruno. »Hat Heinz sich nach all den Jahren dafür gerächt, dass dein Bruder Karin vergewaltigt und ihm sein Kind genommen hat?«, fragte sie.
Paul hielt ihrem Blick stand. »Ich hoffe nicht.«
Es lag ihm unglaublich viel daran, Heinz aus dem Gefängnis zu holen, mehr noch als es ihm widerstrebte, Inga und Clemens verdächtigen zu müssen. Da sich die beiden Männer keineswegs in inniger Freundschaft zugetan waren, musste es einen anderen Grund geben. Paul tat das für sie.
»Aber du bist dir längst nicht so sicher, wie du die ganze Zeit über vorgegeben hast«, sagte Kassandra.
Er widersprach ihrer Feststellung nicht. Stattdessen forderte er sie auf zu erzählen, woher sie von der Vergewaltigung wusste. Sie berichtete, wie sie auf Karins Brief gestoÃen war, ohne allerdings zu erwähnen, dass auch sein Name darin auftauchte. Sie hoffte, dass er davon nichts ahnte, aber mit Bestimmtheit sagen konnte sie es nicht. Pauls Gesicht blieb unbewegt, nur in seinen Augen blitzte kurz etwas auf, als hätte er längere Zeit schon über etwas
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