Fischland-Rache
ausgesprochen interessant, ich habe selten ein besseres Motiv für einen Mord gesehen.«
Du kennst Heinzâ Motiv noch nicht, dachte Kassandra bedrückt. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie sich entscheiden musste, ob sie Dietrich davon erzählen sollte. Bisher hatten sie einander bedingungslos vertraut, Paul war sogar bereit, für Dietrich eine Abschrift von Saschas Notizbuch anzufertigen.
»Sie klingen trotzdem nicht besonders glücklich«, sagte Paul gerade. »Oder irre ich mich?«
»Nein. Das liegt an Inga Langes Alibi. Sie ist raus.«
»Sicher?«, fragte Kassandra.
Eine Sekunde lang herrschte Stille. »Ja, Frau VoÃ.«
»Entschuldigung«, bat Kassandra. »Ich wollte nicht anzweifeln, dass â¦Â«
»Ich versteh Sie schon«, fiel ihr Dietrich ins Wort. »Mir ist klar, dass sie theoretisch in einer Nacht problemlos von Schwerin nach Wustrow und zurück hätte fahren können. Hat sie aber nicht getan. Das Hotel verfügt über ein Videoüberwachungssystem, dessen Aufzeichnungen für den entsprechenden Zeitraum noch nicht gelöscht waren und die ich mir angesehen habe. Frau Lange hat um dreiundzwanzig Uhr siebenundvierzig ihren Wagen auf dem Hotelparkplatz abgestellt und zwei Minuten später eingecheckt. Danach passierte nichts Wesentliches mehr, bis sie um zwei Uhr fünfzehn auf dem Parkplatz auftauchte und etwas aus ihrem Auto holte, was aussah wie eine Laptoptasche. Danach verschwand sie wieder im Hotel und tauchte erst morgens um sechs Uhr einundfünfzig an der Rezeption auf, um auszuchecken. Fünf Minuten später stieg sie in ihr Auto und fuhr weg.«
Ihnen allen war klar, was das bedeutete. Da Sascha zwischen dreiundzwanzig Uhr am Mittwoch und drei Uhr früh am Donnerstag ermordet worden war, reichte das Zeitfenster nicht. Auch wenn Inga geplant hätte, sich aus dem Hotel zu schleichen und mit einem anderen als ihrem eigenen Wagen nach Wustrow zu fahren, um den Mord vor zwei Uhr fünfzehn zu begehen, hätte sie nur zweieinhalb Stunden für die Fahrt hin und zurück gehabt â inklusive der Tat. Das war nicht zu schaffen, und das galt ebenso für das Zeitfenster nach zwei Uhr fünfzehn, selbst wenn man den Todeszeitpunkt etwas nach hinten ausdehnte. Für eine Strecke brauchte man mindestens anderthalb Stunden, da hätte sich die Rechtsmedizin schon gewaltig irren müssen.
Kassandra beobachtete, wie Paul sich erleichtert auf Brunos Sofa zurücklehnte. Sie selbst war weniger erleichtert, wenn sie an Heinz dachte. Selten hatte sie gefühlsmäÃig so zwischen zwei Stühlen gesessen.
»Das heiÃt wohl«, meldete sich Bruno zu Wort, »dass nur Clemens bleibt. Konnten Sie inzwischen mehr über diese Sache beim bayerischen Landeskriminalamt in Erfahrung bringen?«
»Ich habe zwar noch mal nachgefragt, aber die mauern nach wie vor. Solange ich keinen absolut zuverlässigen Grund habe, Meisner zu verdächtigen â einen besseren als ein paar fünfundzwanzig Jahre alte Notizen, von denen ich offiziell nicht mal weiàâ, wird das auch so bleiben, und ich werde kaum Unterstützung von meinen Vorgesetzten kriegen, solange wir unseren Vorzeige-Verdächtigen in U-Haft sitzen haben.«
»Der mir gegenüber im Ãbrigen nicht wesentlich mitteilungsfreudiger war als Ihnen gegenüber«, sagte Kassandra. Ãber kurz oder lang wäre ohnehin die Sprache darauf gekommen, besser, sie brachte es hinter sich, jedenfalls diesen Teil. Also fasste sie ihre Unterhaltung mit Heinz zusammen, wobei sie nur seine Bemerkungen über Paul auslieÃ.
»Laut seiner Personalakte war Jung ein erstklassiger Polizist, dessen Urteil ich jederzeit vertraut hätte«, sagte Dietrich. »Ich nehme an, er schlieÃt Meisner aus gutem Grund so kategorisch aus. Er hat seinen eigenen Verdacht.«
Kassandra wurde innerlich kalt. Das hatte sie vor ein paar Stunden selbst gedacht, aber mittlerweile befürchtete sie, dass er nur zu genau wusste, wer es war. Jetzt wäre der passende Zeitpunkt, Dietrich zu sagen, was sie über Heinz herausgefunden hatte. Sie konnte es nicht. Ihre Befürchtungen führten alle Anstrengungen, die sie bisher unternommen hatten, ad absurdum, und sie wollte das nicht auch noch von Dietrich hören. Paul musste ihr ansehen, dass etwas in ihr vorging. Er schaute sie stirnrunzelnd an, da sprach Dietrich bereits weiter.
»Mir ist egal, ob
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