Fish vor die Hunde
Stacheln und im Nacken zu einer Löwenmähne gestylt, und sie trug überdimensionale, unechte Goldohrringe.
»Was ist?« fragte sie mit Nachdruck. Sie hatte mich beobachtet.
»Irgendwann werden dir die Ohrläppchen bis auf die Schultern hängen«, sagte ich spröde, immer noch ein bißchen eingeschnappt wegen des blöden Witzes über meine Einrichtung.
Sie lachte. »Für einen Hetero bist du eigentlich ganz in Ordnung, Syd. Fertig?«
Wir zogen die Darlinghurst Road hoch, vorbei an der »Mauer«, wo die männlichen Prostituierten ihrem Gewerbe nachgehen — ironischerweise direkt vor der Tür des Krankenhauses — , bogen in die Oxford Street ein und gingen vor bis zur Schwulenmeile. Die meisten Restaurants machten schon dicht, und ihre bürgerliche Kundschaft war auf dem Weg nach Hause ins Bett. Die zweite Schicht betrat so langsam die Bühne.
Laute Musik und Menschen strömten aus den Kneipen auf die Straße. Tausende von Männern, aufgedreht, vollgekokst und startbereit, drängelten, machten schöne Augen und flirteten mit einladendem Lächeln und lauerndem Blick. Die Leute waren gepflegt und durchtrainiert, aber nicht mehr so mager wie früher. Allzu dünn zu sein ist heutzutage nicht mehr angesagt, da denkt jeder gleich an Aids.
Diejenigen, die sich nicht angesteckt hatten, waren zu militanten Verfechtern einer gesunden Lebensweise geworden. Gemessen an den meisten dieser Nachtschwärmer sah ich erschöpft und schlapp aus. Gott sei Dank waren Frauen barmherzige Wesen: den Ansprüchen dieser Szene würde ich nie genügen.
Wir schoben uns in eine Kneipe, in der die Bardamen aussahen wie Mary und Gordy, wenn sie einen schlechten Tag haben. Blush kämpfte sich zu einem Tête-à-tête an der Bar durch: kein Vergnügen. Wir kippten unsere Drinks runter und arbeiteten uns wieder vor bis zum Ausgang. Es war eine wahre Wohltat: Die Musik war so laut, daß sie noch immer in meinem Brustbein wummerte. Ich fragte mich, ob Taubheit bei Schwulen unter Berufsrisiko verbucht wird.
Mit der Begeisterung für Kneipentouren, die ich vor ungefähr zehn Jahren verloren hatte, zerrte mich Blush durch schätzungsweise hundert Kaschemmen. Immer wieder vergaß sie, daß sie eigentlich von Trauer ergriffen sein sollte, und brach häufig in anfallartige Fröhlichkeit aus.
Es gab wohl nicht viele Gäste in diesen sauberen, renovierten Lokalen, die sich noch an die Zeiten erinnern konnten, als in Sydney die Kneipen am frühen Abend schließen mußten. Ihre Väter dagegen wußten es bestimmt noch, genauso, wie sie sich erinnern würden an die dichten Trauben von durstgeplagten männlichen Wesen, die noch rasch ein paar Bier die ausgedörrte Kehle runterspülten in Schenken, die mit gekachelten Wänden und Sägemehl auf dem Fußboden an Sauställe erinnerten. Man nannte es immer noch den Sechsuhrsuff. Die Zeiten hatten sich geändert: Jetzt konnte man sich rund um die Uhr besaufen.
Wegen des Gedränges und der Hitze in den Schwulen-bars trank ich unablässig Bier, und mir wurde langsam etwas schwindlig. Dann wurde ich schwermütig. Kurzfristig überlegte ich mir, ob ich nicht eine Diät machen und wieder mit dem Joggen anfangen sollte, wankte jedoch statt dessen mit Blush in eine Disco und bestellte mir den nächsten Drink.
Das Rack hatte unten eine Bar und im ersten Stock eine Disco. Beide waren brechend voll. Lederschwule kämpften um einen Stehplatz mit schnauzbärtigen Boutiquebesitzern, konservativen älteren Herren, total aufgedrehten Boys in hautengem Lycra, einem Paar in Gingankleidern und Perücken mit langen blonden Haaren, unzähligen Transvestiten in paillettenbesetzten Lurexfummeln und einem Wirrwarr aus Lesben und Heteros.
Discomusik dröhnte und hämmerte, das Bier und der Schweiß floß in Strömen, und die Hitze war unerträglich. Wenn man es irgendwie schaffen würde, die Energie nutzbar zu machen, die ein paar hundert Männer auf Anmachtour erzeugen, brauchten wir das Öl der Kuwaitis nicht.
Ich lehnte mich an die Wand, und Blush mischte sich unters Volk, flüsterte in diverse Ohren, lachte heiser mit alten Freunden, flirtete heftig mit einem sturzbetrunkenen Geschäftsmann und kam schließlich mit einem der schönsten Geschöpfe zurück, die ich je gesehen habe. Das gilt für beide Geschlechter.
»Das ist Ramona«, schrie Blush gegen den aufdringlichen Puls der Musik.
Ramona war ungefähr fünfundzwanzig, hochgewachsen und gertenschlank, trug hautenge Radlerhosen aus Lycra, ein silbernes Netzhemd, das ihre
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