Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
frisches Hemd anzuziehen. Mein verlottertes Aussehen kam mir doppelt peinlich zu Bewusstsein, als ich in dem Flur vor meinem Zimmer die Fremde wiedertraf. Sie musterte mich von oben bis unten, und bevor ich den Mund aufmachen konnte, sprach sie mich an.
»Wechsle dein Hemd«, ordnete sie an und fügte hinzu: »In diesen Hosen siehst du aus wie ein Storch. Sag Mistress Hurtig, dass du neue brauchst.«
»Guten Morgen, Mylady«, stotterte ich. Verblüfft wie ich war, fiel mir nichts anderes ein. Diese Frau brachte mich völlig durcheinander, sie war schlimmer als Lady Quendel. Am besten ließ man ihr ihren Willen. Ich rechnete damit, dass sie sich nun abwendete und weiterging, aber sie hielt mich mit einem Blick an Ort und Stelle fest.
»Spielst du ein Instrument?«, wollte sie wissen.
Ich schüttelte stumm den Kopf.
»Aber du kannst singen?«
»Nein, Mylady.«
Sie schien doch ein wenig verärgert und fragte: »Dann hat man dich wenigstens die Epen und die Wissensverse gelehrt, von den Kräutern, der Heilkunst, der Navigation … all diese Dinge?«
»Nur so weit sie die Pflege von Pferden, Falken und Hunden betreffen«, antwortete ich beinahe wahrheitsgemäß. Das war Burrichs Litanei gewesen. Chade hatte mir einiges über Gifte und Gegengifte beigebracht, mich aber gewarnt, diese Verse seien kein Allgemeingut und dürften nicht einfach unbedacht rezitiert werden.
»Immerhin wirst du tanzen können. Und du verstehst dich auf die Dichtkunst?« Ich wurde immer ratloser. »Mylady, ich glaube, Ihr verwechselt mich mit jemand anderem. Vielleicht mit August, dem Neffen des Königs. Er ist nur ein oder zwei Jahre jünger als ich und …«
»Ich habe dich nicht verwechselt. Beantworte meine Frage.« Ihre Stimme hatte beinahe einen schrillen Unterton.
»Nein, Mylady. Die Dinge, von denen Ihr sprecht, sind für jene von … hoher Geburt. Ich bin darin nicht unterwiesen worden.«
Bei jeder meiner Verneinungen schien sie nur noch mehr verärgert. Ihre Nasenflügel bebten, die Augen funkelten kampflustig. »Das ist unerträglich«, verkündete sie, wirbelte mit fliegenden Röcken herum und eilte den Flur hinunter. Sobald sie auf der Treppe verschwunden war, ging ich in mein Zimmer, wechselte das Hemd und zog die längste Hose an, die ich besaß. Anschließend
verbannte ich die wunderliche Lady aus meinen Gedanken und stürzte mich in die Arbeit.
Es regnete, als Burrich am Nachmittag ankam. Ich traf ihn draußen bei den Pferdeställen und hielt seinem Pferd den Kopf, während er sich steif aus dem Sattel schwang. »Du bist gewachsen, Fitz«, bemerkte er und begutachtete mich kritisch, als wäre ich eins seiner Tiere, das sich wider Erwarten gut entwickelt hatte. Er öffnete den Mund, als wollte er noch etwas hinzufügen, dann schüttelte er den Kopf und schnaufte. »Nun?«, fragte er, und ich begann mit meinem Bericht.
Er war kaum einen Monat weg gewesen, aber Burrich legte Wert darauf, alles bis in die kleinste Einzelheit zu erfahren. Wir brachten die Stute zu ihrer Box, und ich fing an abzusatteln und sie zu verpflegen. Derweil hörte er sich aufmerksam an, was ich zu berichten hatte.
Manchmal überraschte es mich, wie ähnlich in mancher Hinsicht er und Chade sich waren. Beide erwarteten von mir exakte Details, und sie legten Wert darauf, dass ich fähig dazu war, die Vorfälle der letzten Wochen oder des letzten Monats in der genauen Reihenfolge zu schildern. Chades Ansprüchen zu genügen, das war mir nicht schwergefallen. Burrich hatte mit seinem Drill gründliche Vorarbeit geleistet. Erst Jahre später merkte ich, wie ähnlich diese Art der Berichterstattung dem Rapport eines Soldaten gegenüber seinem Vorgesetzten war.
Jemand anderes wäre anschließend erst einmal in die Küche oder zum Badehaus gegangen, doch Burrich bestand darauf, sein Reich zu inspizieren, schwatzte hier mit einem der Knechte und sprach dort ein paar Worte zu einem Pferd. Bei dem Pferd der fremden Dame blieb er stehen. Schweigend betrachtete er das Tier für einige lange Momente.
»Ich habe dieses Tier ausgebildet«, sagte er plötzlich, und beim Klang seiner Stimme drehte der Wallach sich in seiner Box herum und wieherte leise. »Seidenlocke«, meinte Burrich versonnen und streichelte die weiche Nase des Pferdes. Dann seufzte er. »Also ist Prinzessin Philia am Hof. Habt ihr euch schon kennengelernt?«
Das war eine schwierige Frage. Tausend Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf. Prinzessin Philia war die Gemahlin meines Vaters
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