Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
dafür auf als ich. Obwohl Chivalric dieser Firlefanz nicht abträglich war, manchmal gereichten ihm solche Kenntnisse sogar zum Vorteil. Wie auch immer, es wird dich viel Zeit kosten. Abgesehen davon sollst du bei Philia Page sein, obwohl du eigentlich schon zu alt dafür bist. Meiner Meinung nach bedauert sie vieles, was in der Vergangenheit geschehen ist, und möchte Versäumtes nachholen, ein Unterfangen, das in der Regel zum Scheitern verurteilt ist. Du musst deine Waffenübungen einschränken. Und Burrich wird nichts anderes übrigbleiben, als sich einen anderen Stallburschen zu suchen.«
Die Waffenübungen waren mir egal. Wie Chade mir schon oft gesagt hatte, arbeitete ein wirklich guter Assassine diskret und lautlos. Wenn ich mein Gewerbe gut beherrschte, brauchte ich wohl kaum jemals mit einer langen Klinge gegen jemanden anzutreten. Doch meine Zeit mit Burrich … - da war wieder dieses unbehagliche Gefühl, nicht zu wissen, was ich ihm gegenüber fühlte. Manchmal hasste ich Burrich. Er war unduldsam, diktatorisch und besaß nicht das geringste Einfühlungsvermögen.
Er forderte von mir Perfektion und ließ gleichzeitig keinen Zweifel daran, dass ich nicht auf Lob zu hoffen brauchte. Doch er war andererseits auch offen und ehrlich und glaubte, dass ich das Zeug dazu hatte, seinen Anforderungen gerecht zu werden.
»Du fragst dich vielleicht, in welcher Weise sie uns genützt hat«, fuhr Chade fort. Ich hörte die unterdrückte Erregung aus seiner Stimme heraus. »Es handelt sich dabei um etwas, das ich zweimal für dich zu erwirken versuchte, und beide Male wurde es mir verweigert. Doch Philia hat Listenreich so lange in den Ohren gelegen, bis er sich einverstanden erklärte. Es ist die Gabe, Junge. Du wirst in der Gabe ausgebildet.«
»Die Gabe«, wiederholte ich, ohne zu begreifen, was ich sagte. Das alles ging viel zu schnell für mich.
»Ja.«
Ich kramte fieberhaft in meinem Gedächtnis. »Burrich hat mir einmal davon erzählt. Vor langer Zeit.« Plötzlich fiel mir wieder ein, in welchem Zusammenhang er darauf gekommen war. Nachdem Nosy zufällig unser beider Geheimnis verraten hatte. Burrichs Worten zufolge war die Gabe das Gegenteil der Sinneskraft, die mich mit den Tieren verband und mit deren Hilfe ich die Veränderung in den Bewohnern von Ingot erkannt hatte. Musste ich damit rechnen, dass mich die Förderung der einen Sinnesgabe mich von der anderen befreite? Oder bedeutete das einen Verlust? Ich dachte daran, wie ich mich mit Pferden und Hunden zusammengehörig empfunden hatte, solange Burrich nicht in der Nähe gewesen war. Voller Wehmut musste ich an Nosy zurückdenken. Weder vorher noch nachher hatte ich mich einem anderen Lebewesen so nahe gefühlt. Würde die Ausbildung in der Gabe mir das alles nehmen?
»Was ist denn, Junge?« Chades Stimme klang freundlich, aber besorgt.
»Wieso?« Auch ihm wagte ich meine Ängste und die dunklen Flecken in meiner Vergangenheit nicht anzuvertrauen. »Was soll denn mit mir sein?«
»Dir sind die alten Geschichten über die Ausbildung zu Ohren gekommen.« Er nickte verständnisvoll. »Keine Sorge, Junge, so schlimm kann es nicht sein. Chivalric hat es überlebt. Veritas ebenfalls. Und angesichts der Bedrohung durch die Roten Korsaren hat Listenreich beschlossen, die Einschränkungen aufzuheben und weitere aussichtsreiche Kandidaten zur Ausbildung zuzulassen. Er will zur Unterstützung dessen, was er und Veritas bereits mit der Gabe zu bewirken vermögen, zusätzlich noch eine Gruppe von Kundigen schaffen. Galen ist zwar weniger davon begeistert, aber ich halte die Idee für ausgezeichnet. Mir, der ich selbst ein Bastard bin, ist damals die Ausbildung und der Zugang zu dem exklusiven Kreis verwehrt geblieben. Deshalb habe ich auch keine genaue Vorstellung davon, in welcher Weise die Gabe zur Verteidigung unseres Landes genutzt werden kann.«
»Du bist ein Bastard?«, platzte es aus mir heraus. Durch diese Enthüllung wurde das ganze verworrene Durcheinander meiner Gedanken buchstäblich zur Seite gefegt. Chade starrte mich an, als wäre er ebenso erstaunt wie ich.
»Selbstverständlich. Ich dachte, das hättest du schon längst herausgefunden. Junge, für jemanden mit deiner Beobachtungsgabe bist du für manche Dinge aber erstaunlich blind.«
Ich musterte Chade, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Die Ähnlichkeit war vorhanden. Die Stirn, die Ohren, die Form der Unterlippe. »Du bist Listenreichs Sohn«, vermutete ich ins
Blaue hinein, aber schon
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