Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
und nach vorherrschender Meinung in erster Linie verantwortlich dafür, dass mein Vater dem Hof den Rücken gekehrt hatte. Mit ihr hatte ich in der Küche gesessen, und ihr gegenüber hatte ich im Garten in meinem trunkenen Übermut dreiste Antworten gegeben. Und sie war es auch, die mich heute Morgen über meine Erziehung ausgefragt hatte. Ich räusperte mich. »Nicht offiziell. Aber wir sind uns begegnet.«
Zu meiner Überraschung lachte er. »Dein Gesicht ist das reinste Bilderbuch, Fitz. Allein daran kann ich ablesen, dass sie sich keinen Deut verändert hat. Im Obsthain ihres Vaters habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Sie bat mich, ihr einen Splitter aus dem Fuß zu ziehen, und streifte ungeniert Schuhe und Strümpfe ab, einfach so, vor meinen Augen. Dabei hatte sie keine Ahnung, wer ich war. Und umgekehrt. Ich hielt sie für eine Kammerzofe. Das ist natürlich Jahre her, mein Prinz wusste noch nichts von ihr. Ich glaube, ich war nicht viel älter als du jetzt.« Er verstummte, und seine Züge wurden weich. »Sie hatte einen albernen kleinen Hund, den sie immer in einem Korb mit sich herumtrug. Er schnaufte beim Atmen, und dauernd würgte er Klumpen von seinem eigenen Fell aus. Sein Name war Flederwisch.« Burrich schüttelte den Kopf und lächelte
beinahe liebevoll. »Sich ausgerechnet daran zu erinnern, nach all den Jahren.«
»Mochte sie dich leiden, damals?«, fragte ich taktlos.
Burrich schaute mich an, sein Blick war ausdruckslos. »Besser als jetzt«, antwortete er schroff. »Aber das ist unwichtig. Heraus damit, Fitz. Was hält sie von dir?«
Noch so eine vertrackte Frage. Ich erzählte von unseren Begegnungen, wobei ich alles nach Kräften beschönigte. In der Mitte der Gartenepisode hob Burrich die Hand.
»Halt«, sagte er bestimmt.
Ich schwieg.
»Wenn du mir nur einen Teil der Wahrheit erzählst, um nicht wie ein Narr auszusehen, dann hörst du dich stattdessen an wie ein Dummkopf. Also noch einmal von vorne.«
Ich gehorchte und ersparte ihm nichts, weder von meinem Benehmen noch den Kommentaren der Prinzessin. Anschließend wartete ich auf ein Urteil, doch er streckte die Hand aus und streichelte dem Wallach über die Nüstern. »Manche Dinge ändern sich im Lauf der Zeit«, meinte er endlich. »Und andere nicht.« Er seufzte. »Nun, Fitz, du hast das Talent, ausgerechnet den Leuten vor die Füße zu treten, denen du aus dem Weg gehen solltest. Ich bin überzeugt, das wird Folgen haben, aber was für welche, das bleibt abzuwarten. Also hat es keinen Zweck, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sehen wir uns die Welpen an. Du sagst, Tüpfel hat sechs?«
»Und alle haben sie überlebt«, verkündete ich stolz, denn bei der Hündin hatte es zuvor häufig Totgeburten gegeben.
»Hoffentlich können wir das auch von uns sagen«, knurrte Burrich im Weitergehen, doch als ich fragend zu ihm aufblickte, schien es, als hätte er gar nicht zu mir gesprochen.
»Man sollte meinen, du hättest so viel Grips, ihr nicht unter die Augen zu kommen«, begrüßte Chade mich unwirsch.
Das war nicht das Willkommen, das ich bei einem Wiedersehen nach Monaten erwartet hätte. »Ich wusste nicht, dass es Prinzessin Philia war. Mit keinem Wort wurde von ihrem Besuch geredet.«
»Sie hat eine strikte Abneigung gegen Klatsch und Tratsch«, erklärte Chade. Er saß in seinem Lehnstuhl vor dem brennenden Kamin. Das Turmgemach wurde nie ganz warm, auch im Sommer nicht, obwohl er Kälte hasste. Heute Nacht wirkte er außerdem müde, erschöpft von den anstrengenden Wochen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Besonders seine Hände mit ihren geschwollenen Gelenken sahen alt und knochig aus. Er nahm einen Schluck Wein zu sich und fuhr fort: »Und sie hat ihre exzentrischen kleinen Methoden im Umgang mit jenen, die hinter ihrem Rücken über sie reden. Von Anfang an hat sie darauf bestanden, dass man ihre Privatsphäre respektiert, was einer der Gründe ist, weshalb sie eine sehr schlechte Königin gewesen wäre. Chivalric allerdings kümmerte das wenig. Bei dieser Heirat dachte er nur an sich selbst, nicht an die Staatsräson. Ich glaube, das war die größte Enttäuschung, die er seinem Vater bereitete. Danach hat nichts, was er tat, Listenreich je wieder völlig zufriedengestellt.«
Ich verhielt mich mucksmäuschenstill. Schleicher kam und ließ sich auf meinem Knie nieder. Nur selten zeigte Chade sich derart gesprächig, schon gar nicht in Angelegenheiten, die die königliche Familie betrafen.
»Manchmal
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