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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ist, kann vermittels seiner Fähigkeit sogar die Uralten anrufen, über denen dann nur noch die Götter stehen. Gering ist die Zahl derer, die solches gewagt haben, und geringer noch die Zahl derjenigen, denen ein guter Ausgang ihres Wagnisses beschieden war. Es heißt, die Antwort, die man von den Uralten erhält, ist vielleicht nicht die Antwort auf die Frage, die man gestellt hat, sondern auf die, die man hätte stellen sollen. Und jene Antwort zu der Frage mag durchaus der Art sein, dass sie ein Mensch nicht zu hören oder zu überleben imstande ist.

    Denn während man mit den Uralten spricht, ist die Verlockung der Gabe am stärksten und am gefährlichsten. Dieser Verlockung zu erliegen, davor muss jeder Kundige sich allezeit hüten. Bei dem Gebrauch der Gabe empfindet er mit solcher Macht die Süße des Lebens und eine so rauschhafte Verzückung, dass er unter Umständen sogar vergisst zu atmen. Betörend ist dieses Gefühl ohnehin die ganze Zeit und kann den Unvorsichtigen süchtig machen, denn die ekstatische Verbundenheit mit den Uralten geht über das menschliche Vorstellungsvermögen hinaus. Der Kundige, der mithilfe seiner Gabe die Uralten anruft, läuft Gefahr, nicht nur seine Sinne, sondern auch seinen Verstand zu verlieren. Ein solcher Mann stirbt im Wahn, gleichwohl es auch wahr ist, dass er in einem Wahn entrückter Glückseligkeit stirbt.
     
    Der Narr hatte Recht. Ich ahnte nichts von der Gefahr, in der ich schwebte. Mit jedem Tag hatte Galen uns fester in der Gewalt, mit jedem Tag wurde er grausamer und rücksichtsloser. Einige gaben auf und kamen nicht mehr. Merry gehörte dazu. Ich sah sie nur noch einmal. Mit verstörtem Gesichtsausdruck schlich sie in der Burg herum. Irgendwann erfuhr ich, dass Serene und die anderen Mädchen nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten, nachdem sie aus der Gruppe ausgeschieden war, und wenn sie später noch von ihr sprachen, dann in einem Ton, als hätte sie, statt sich nur einer weiteren Quälerei zu entziehen, eine gemeine, schäbige Tat begangen, für die sie in Ewigkeit verdammt war. Ich weiß nicht, wohin sie später ging, nur, dass sie Bocksburg verließ und nie mehr zurückkehrte.
    So wie das Meer an einem Strand die Kiesel vom Sand scheidet und entlang der Gezeitengrenze anhäuft, so schieden sich unter Galens Lob und Tadel seine Schüler in gut und minderwertig.
Anfangs strebten wir alle danach, sein Primus zu sein. Nicht etwa, weil wir ihn mochten oder bewunderten. Ich weiß nicht, was die anderen fühlten, aber ich war in meinem Herzen mit nichts anderem als Hass auf ihn erfüllt. Ein Hass zudem, der meine Entschlossenheit nährte, mich von diesem Mann nie und nimmer brechen zu lassen. Ihm nur ein einziges Wort widerwilliger Anerkennung abzuringen, das hatte größeren Wert als das höchste Lob aus dem Mund eines anderen Lehrers. Seine ständigen Herabsetzungen bewirkten nicht etwa, dass ich mir ein dickes Fell zulegte, sondern ich glaubte vielmehr vieles von dem, was er an mir bemängelte, und gab mir alle Mühe, die angeblichen Fehler in meinem Charakter auszumerzen.
    Wir wetteiferten um seine Aufmerksamkeit, und natürlich hatte er seine erklärten Favoriten. Bei August, zum Beispiel, wurden wir oft angehalten, es ihm gleichzutun. Ich hingegen war eindeutig der, auf den er es am meisten abgesehen hatte, und doch brannte ich darauf, mich vor ihm auszuzeichnen. Nach jenem ersten Mal der Verspätung war ich nie wieder der Letzte auf der Treppe. Seine Schläge ertrug ich ohne mit der Wimper zu zucken, ganz ähnlich wie Serene, die ebenfalls unter Galens Niedertracht zu leiden hatte. Sie entwickelte sich zu seiner fanatischsten Anhängerin und ließ nie wieder ein Wort der Kritik über ihre Lippen gehen, obwohl sie ihm nichts recht machen konnte und er sie weit häufiger schlug als jede andere der Frauen. Umso unbeirrbarer strebte sie danach zu beweisen, dass sie alles ertragen konnte, und zeigte sich - von Galen selbst einmal abgesehen - am unnachsichtigsten gegenüber jedem, der schwankend wurde oder es womöglich wagte, Zweifel am Sinn und Zweck unserer Ausbildung zu äußern.
    Der Winter schritt voran. Unser Turmdach war eine kalte,
dunkle Welt und Galen ihr Gott. Er schmiedete uns zu einer Einheit zusammen. Wir betrachteten uns als eine Elite, erhaben und auserkoren für die Weihen der Gabe. Selbst ich, der ich nur Spott und Schläge erdulden musste, glaubte daran. Wer aus unserer Mitte die Segel strich, den verachteten wir. Gegen äußere

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