Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
wie ich war, vergaß ich, mich vor der Ekstase zu schützen, die sowohl der Honig
als auch der Stachel der Gabe ist. Die Euphorie brandete über mich hinweg, zog mich in die Tiefe und riss Galen mit, der nicht länger in meinem Bewusstsein forschte, sondern nur noch darum kämpfte, in sein eigenes zurückzukehren.
    Nie zuvor hatte ich etwas Vergleichbares erlebt.
    Galen hatte es Lust genannt, und mir schwebte dabei eine angenehme Empfindung vor - so wie die Wärme im Winter, der Duft einer Rose oder ein süßer Geschmack im Mund. Nichts davon traf zu. Lust ist ein zu handgreiflicher Begriff, um auszudrücken, was ich fühlte. Es erfüllte mich, durchflutete mich wie eine Woge, gegen die ich mich nicht zu behaupten vermochte. In diesem Taumel vergaß ich Galen und die Welt um mich herum. Ich fühlte, wie er mir entglitt, und eine innere Stimme mahnte Gefahr, aber ich achtete nicht darauf. Wichtig war nur, diese unvergleichliche Empfindung auszukosten.
    »Verfluchter Bastard!«, schrie Galen und schlug mir die geballte Faust gegen die Schläfe. Ich stürzte und war hilflos, denn der Schmerz genügte nicht, den Bann zu brechen. Obwohl ich die Tritte spürte, den harten, kalten Steinboden, fühlte ich mich entrückt und unverletzlich. Mein Verstand versicherte mir ungeachtet der Schmerzen, alles wäre gut, kein Grund, sich zu wehren oder die Flucht zu ergreifen.
    Dann war der Höhepunkt der Ekstase überschritten, sie ebbte ab, und dem Flug zur Sonne folgte der jähe Absturz. Galen stand zerrauft und schwitzend über mir. Sein Atem dampfte in der Winterluft, als er sich zu mir herabbeugte. »Stirb!«, zischte er, aber ich hörte das Wort nicht, ich spürte es in jeder Faser meines Körpers.
    Im Gefolge des Rauschs brach die Trostlosigkeit des Scheiterns und der Schuldgefühle über mich herein, die meine körperlichen
Qualen unbedeutend erscheinen ließ. Meine Nase blutete, die Brust tat mir weh, und als die brutalen Stiefeltritte Galens mich über den Boden stießen wie ein schlaffes Lumpenbündel, hatten die rauen Steinplatten mir die Haut aufgescheuert. Die Schmerzen waren so vielfältig, als hätte mich ein Schwarm zorniger Wespen angegriffen, so dass ich nicht einmal abschätzen konnte, wie es wirklich um mich stand. Mir fehlte die Kraft - und der Wille - wieder aufzustehen. Doch mehr als alles andere quälte mich die Schande, versagt zu haben. Ich war besiegt und der Gabe unwürdig - Galen hatte Recht behalten.
    Wie aus weiter Ferne hörte ich, wie sich seine Stimme erhob und wie er den anderen predigte: »Hütet euch, denn so werde ich mit jedem verfahren, der der Verlockung der Gabe erliegt.« Und er schilderte in düsteren Farben, welches Schicksal dem Unwürdigen drohte, der nach dem Gebrauch der Gabe strebte, stattdessen aber unter ihren Bann geriet. Er verlor den Verstand, wurde zu einem vor sich hin lallenden Idioten, der seinen Namen nicht kennt, der sich beschmutzt, vergisst zu essen, vergisst zu trinken, bis er stirbt. Eine Kreatur, die nicht einmal der Verachtung wert war, die man ihr entgegenbrachte.
    Und genau eine solche Kreatur war ich. Ich versank vor Scham im Boden und begann haltlos zu schluchzen. Galen hatte mich zu Recht gezüchtigt. Ich verdiente eine noch härtere Strafe. Nur fehlgeleitetes Mitleid hatte ihn davon abgehalten, mich zu töten, mich, der ihm die Zeit stahl, der seine Warnungen in den Wind schlug und seine Lehren vor lauter Eitelkeit missbrauchte. Vor der brennenden Scham kehrte ich mich ganz nach innen, aber auch dort fand ich nur Abscheu und Selbsthass. Sterben … Der Sturz vom Turmdach hätte die Schmach zwar nicht ausgelöscht,
aber wenigstens brauchte ich sie dann nicht mehr zu ertragen. Ich lag ausgestreckt auf dem Boden und weinte.
    Die anderen verließen die Terrasse. Jeder hatte im Vorbeigehen ein Schimpfwort für mich, einen Fußtritt, einen Schlag, oder sie spuckten mich einfach nur an. Ich merkte es kaum. Die Verachtung, die ich für mich selbst empfand, war größer, als ihre je sein konnte. Dann waren sie fort, und nur noch Galen stand bei mir. Er stieß mich mit dem Fuß an, aber ich war zu keiner Reaktion mehr fähig. Plötzlich war er überall, um mich herum, in mir, und ich konnte ihn nicht länger aufhalten. »Nun siehst du, Bastard«, sagte er ruhig, »ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass du der Gabe nicht würdig bist, dass sie dir den Tod bringen würde. Aber du wolltest nicht hören. Du bist ein Schmarotzer, der von der Kraft eines anderen zehrt.

Weitere Kostenlose Bücher