Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
da fühlte ich mich wie ein Hund, dem man einen Knochen vor die Nase hielt, ohne dass er ihn hätte je erreichen können. Bei den anderen waren deutliche Fortschritte erkennbar. Zwischen ihnen entwickelte sich ein dicht gesponnenes Netz gemeinsamer Gedanken, ein System wortloser Verständigung, mit dem sie sich einander zuwandten, bevor sie miteinander sprachen und mit dem sie die gemeinsamen Übungen durchführten als wären sie ein einziges Wesen. Nur widerwillig und mit einem Murren wählten sie mich abwechselnd als Partner, aber weder empfing ich von ihnen etwas noch waren sie für mich in irgendeiner Weise empfänglich. Deshalb beschwerten sie sich bei Galen, die von mir ausgehende Kraft wäre entweder wie ein Flüstern im Walde oder wie ein Rammbock beim Sturmangriff. Mit ziemlicher Verzweiflung beobachtete ich, wie sie gegenseitig ihre Bewegungsabläufe dirigierten oder wie sie, allein gelenkt von den Augen des sehenden Partners, mit verbundenen Augen durch das Labyrinth der glühenden Kohlen wanderten. Ich dagegen verspürte die Gabe, wenn sie sich in mir entfaltete, meist nur wie ein aufbrechendes Samenkorn, aber letztlich konnte ich den Vorgang weder steuern noch beeinflussen. Die Gabe wallte in mir auf, brandete wie eine Sturmflut gegen Küstenfelsen, um dann ohne Vorwarnung gleich wieder zu verebben; und zurück blieb nur trockener, lebloser Sand. In starken Augenblicken konnte ich August zwingen, stillzustehen, sich zu verneigen und zu marschieren. Doch ein anderes Mal sah er mich wiederum ungeduldig an und forderte mich heraus, endlich etwas zu tun.
Umgekehrt schien von allen kein Einziger fähig zu sein, mich
zu erreichen. »Nimm deinen Schild herunter, reiß die Mauern ein«, so lauteten die ärgerlichen Anweisungen Galens, während er vor mir stand und sich erfolglos bemühte, mir die einfachsten Instruktionen oder Maßregeln mitzuteilen. Ich spürte gleichwohl die spinnwebfeine Berührung der Gabe, doch genauso wenig, wie ich mir ohne Gegenwehr einen Dolch zwischen die Rippen hätte stoßen lassen, konnte ich Galen in mein Bewusstsein eindringen lassen. So sehr ich versuchte, mich zu beherrschen, umso mehr wich ich seinen geistigen und körperlichen Berührungen aus. Die Berührungen meiner Mitschüler spürte ich überhaupt nicht.
Sie machten täglich Fortschritte, während ich buchstäblich darum ringen musste, die einfachsten Grundlagen zu erfassen. Es dauerte nicht lange, und es war so weit, dass August auf eine beschriebene Seite schaute, und sein Partner las laut vor, was darauf stand. Zwei andere Paare bestritten ein Schachspiel, bei dem jene beiden, die die Züge ansagten, das Brett nicht sehen konnten. Galen seinerseits war mit allen durchwegs zufrieden - außer mit mir. Jeden Abend entließ er uns nach einer Berührung, die ich allerdings nur selten spürte. Jeden Abend kam ich als Letzter an die Reihe, und mitleidlos rief er mir ins Gedächtnis, dass er nur deshalb seine Zeit an einen Bastard verschwendete, weil der König es so wollte.
Der Frühling zog ins Land, und Fäustel war kein Welpe mehr, sondern ein ausgewachsener Hund. Rußflocke fohlte und brachte, gezeugt von Veritas’ Hengst, eine hübsche kleine Stute zur Welt, und ich konnte nicht dabei sein. Einmal besuchte ich Molly, und wir schlenderten fast wortlos über den Markt. An einem neuen Stand bot ein grobschlächtiger Mann wilde Vögel und Tiere feil, die er in Käfige gesperrt hatte: Er hatte Krähen,
Sperlinge und eine Schwalbe, sogar einen jungen Fuchs, allerdings von Würmern so geschwächt, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Der Tod würde ihn wohl früher erlösen als jeder Käufer, und selbst wenn ich die Münzen für ihn gehabt hätte, er befand sich bereits in einem Zustand, in dem die Wurmmedizin nicht nur für die Parasiten, sondern auch für ihn selbst tödlich gewesen wäre. Das Elend machte mich traurig, deshalb blieb ich stehen und übermittelte den Vögeln die Vorstellung, wie sie durch das Picken gegen ein bestimmtes Stück glänzendes Metall die Käfigtüren öffnen konnten. Doch Molly glaubte, dass ich die bedauernswerten Kreaturen nur angaffte, und ich fühlte die Distanz zwischen uns weiter wachsen als je zuvor. Beim Abschied winselte Fäustel um ihre Aufmerksamkeit und wurde, noch bevor wir gingen, mit einem Kraulen und Streicheln belohnt. Ich beneidete ihn um sein Talent, sich Zärtlichkeiten zu erbetteln. Mein stummes Sehnen wurde dagegen nicht erhört.
Kaum lag die erste Ahnung des
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