Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
ihrer Gefangenschaft bei den Roten Korsaren wusste sie lediglich zu berichten, dass sie und die anderen im Bauch eines Schiffes zusammengepfercht gewesen wären, es hätte nur wenig zu essen und gerade mal genug Wasser zum Trinken gegeben. Doch hatte man ihr weder etwas Ungewöhnliches eingeflößt, soweit sie sich entsinnen konnte, noch war sie in irgendeiner Weise berührt worden. Von ihr war zu meiner großen Enttäuschung also nichts über die Methode des Entfremdens zu erfahren, denn ich hatte gehofft, wenn man erst wusste, wie etwas bewerkstelligt wurde, könnte man auch einen Weg finden, es rückgängig zu machen.
    Ich versuchte, sie mit gutem Zureden wieder zu menschlichen Verhaltensweisen zu bewegen, was jedoch erfolglos blieb. Offenbar verstand sie meine Worte durchaus, handelte jedoch nicht danach. Wenn man ihr zwei Laibe Brot gab und ihr sagte, sie müsse einen für den nächsten Tag aufheben oder hungern, ließ sie den zweiten Laib auf den Boden fallen, zertrat ihn und verzehrte tags darauf die verstreuten Brocken, ohne sich an dem Schmutz zu stören, der daran haftete. Sie zeigte weder Interesse an ihrer Handarbeit noch an irgendeinem anderen Zeitvertreib. Auch buntes Kinderspielzeug lockte sie nicht. Wenn sie nicht gerade aß oder schlief, begnügte sie sich damit, untätig in einer Ecke zu sitzen. Gab man ihr Kuchen oder Konfekt, verschlang sie große Mengen davon, erbrach sich und aß dann weiter.
    Ich behandelte sie mit verschiedenen Elixieren und Kräutertees. Ich ließ sie fasten, setzte sie in ein Dampfbad, verabreichte ihr Klistiere. Heiße und kalte Güsse zeigten keine andere Wirkung, als sie zornig zu machen. Ich versetzte sie einmal für einen vollen Tag und für eine volle Nacht in Tiefschlaf, ein anderes Mal gab ich ihr Elfenrinde, um sie wachzuhalten - nichts führte zu einer wirklichen Veränderung, außer dass sie durch Letzteres reizbar wurde. Ob ich ihr
nun jeden Wunsch erfüllte oder sie mit unnachsichtiger Strenge behandelte, all das änderte nichts an ihrem Verhalten. Solange sie Hunger hatte, knickste sie auf Befehl und lächelte süß, doch kaum reichte man ihr wieder zu essen, war sie taub für alle weiteren Anordnungen oder Befehle.
    Ihr engstes Umfeld und ihren Besitz verteidigte sie mit wütender Eifersucht. Mehr als einmal versuchte sie mich anzufallen, allein weil ich ihrer Schüssel mit Essen zu nahe gekommen war. Bei anderer Gelegenheit stach ihr plötzlich ein Ring ins Auge, den ich am Finger trug. Sie tötete regelmäßig die Mäuse, die von ihrem Unrat angelockt wurden - dann packte sie die Tierchen mit erstaunlichem Geschick und schmetterte sie gegen die Wand. Übrigens ereilte eine Katze, die sich in ihr Zimmer verirrte, das gleiche Schicksal.
    Sie schien keine Vorstellung von der Zeitspanne zwischen ihrem früheren Leben und ihrer Entfremdung zu haben. Wenn man sie dann wie üblich hungern ließ, um ihr die Zunge zu lösen, stellte sich heraus, dass sie zwar keine Mühe hatte, die Ereignisse ihres früheren Lebens chronologisch aufzuzählen, aber die Tage seither stellten für sie nur ein einziges langes ›Gestern‹ dar.
    Von Netta konnte ich also nicht hoffen zu erfahren, ob man ihr etwas gegeben oder genommen hatte, um sie zu entfremden. Ich wusste deshalb nicht, ob es sich dabei um etwas handelte, das man einnehmen oder riechen oder hören oder sehen konnte. Ich konnte daraus ebenso wenig schließen, ob die Entfremdung überhaupt Menschenwerk war oder nicht vielmehr der Fluch eines Meerdämons von der Art, wie ihn einige Fernländer beschwören zu können behaupten. So hatte mir mein langes und ermüdendes Experiment keinerlei neue Erkenntnisse gebracht.
    Netta gab ich deshalb eines Tages die dreifache Dosis eines Schlaftrunks. Ich ließ sie waschen, herrichten und in ihr Dorf überführen,
wo sie zur letzten Ruhe gebettet wurde. Wenigstens eine Familie konnte einen Schlussstrich unter ihre Leidensgeschichte ziehen. Die meisten anderen sind zu qualvoller Ungewissheit verurteilt, wenn es auch gnädiger sein mag, dass sie nie erfahren, was aus ihren Lieben geworden ist.«
    Zu jener Zeit gab es im Reich mehr als eintausend Seelen, von denen man wusste, dass sie entfremdet waren.
    Burrich hatte seine Worte ernst gemeint. Er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich war unten in den Ställen und Zwingern nicht länger willkommen. Besonders Cob sah das mit boshafter Freude. Obwohl er häufig mit Edel unterwegs war, versäumte er bei seiner Anwesenheit nie, mir am

Weitere Kostenlose Bücher