Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Stalltor in den Weg zu treten, um mich am Weitergehen zu hindern.
»Erlaubt mir, Euch Euer Pferd zu bringen, junger Herr«, sagte er dann mit höhnischer Unterwürfigkeit. »Der Stallmeister wünscht, dass die Pferde ausschließlich von den Knechten betreut werden.« Mir blieb also nichts anderes übrig, als dazustehen wie irgendein verweichlichtes Fürstensöhnchen, während Rußflocke für mich gesattelt und herausgeführt wurde. Cob persönlich mistete ihre Box aus, fütterte und striegelte sie, und es fraß wie Säure an mir, sehen zu müssen, wie schnell sie sich an ihn gewöhnte. Sie ist nur ein Pferd, sagte ich mir, man kann ihr keinen Vorwurf machen. Doch es war auch eine weitere Zurückweisung.
Ich hatte plötzlich viel zu viel freie Zeit. Die Vormittage waren früher stets mit Arbeiten für Burrich ausgefüllt gewesen. Jetzt gehörten sie mir allein. Hod war damit beschäftigt, Rekruten für den Militärdienst auszubilden. Ich hätte mit ihnen arbeiten können, doch war ich ihnen schon zu weit voraus. Fedwren
befand sich wie jeden Sommer auf der Wanderschaft. Mir fiel auch nichts ein, wie ich es anstellen sollte, den Bruch mit Philia zu kitten, und jeden Gedanken an Molly verbannte ich strikt aus meinem Kopf. Selbst meine Ausflüge in die Schänken von Burgstadt fanden alleine statt. Kerry hatte sich als Lehrling bei einem Puppenspieler verdungen, und Dirk war zur See gegangen. Ich war ohne jegliche Beschäftigung und einsam.
Es war ein unglückseliger Sommer, und das nicht allein für mich. Mochte ich mit dem Schicksal auch noch so hadern und in Selbstmitleid ertrinken, mir blieb trotzdem nicht verborgen, wie sich die Lage in den Sechs Provinzen rapide verschlechterte. Die Roten Korsaren waren dreister denn je und wüteten an der Küste. Sie begnügten sich nicht länger damit, uns nur zu verhöhnen und zu bedrohen, sie begannen plötzlich Forderungen zu stellen: Nach Korn. Nach Vieh. Sie forderten für sich das Recht ein, sich in unseren Seehäfen je nach Belieben bedienen zu dürfen. Reklamierten das Recht, sich bei uns über den Sommer niederzulassen und zu ernten, was sie nicht gesät hatten. Ja, sogar das Recht, sich aus unserem Volk Sklaven auswählen zu dürfen … Jede Forderung war unerträglicher als die vorhergehende und wurde an Kaltblütigkeit nur noch von jenen weiteren Entfremdungen unter unserem Volk übertroffen, die jedem Nein des Königs zwangsläufig folgten.
Die Bürger der Hafen- und Küstenstädte wanderten ins Landesinnere ab. Wer wollte es ihnen verdenken, aber die Folge war, dass wir dem Feind kaum noch eine wirksame Verteidigung entgegenzusetzen hatten. Die Truppenstärke wurde vergrößert, Söldner angeworben, worauf in der Folge zwangsläufig die Steuern erhöht werden mussten. Und das Volk murrte über die Last der Abgaben und die scheinbare Untätigkeit des Königs. Noch
kurioser verhielten sich allerdings die Outislander, die in ihren Patrouillenbooten in unseren Gewässern auftauchten, um Asyl baten und düstere Geschichten von Chaos und Tyrannei auf den Äußeren Inseln erzählten, wo die Roten Korsaren inzwischen scheinbar ein Schreckensregime errichtet hatten. Sie waren teils ein Fluch, teils ein Segen. Obwohl sie bereit waren, für geringes Handgeld in unsere Armee einzutreten, traute man ihnen nicht recht über den Weg, aber wenigstens waren ihre Berichte von der Gewaltherrschaft der Roten Korsaren aus ihrer Heimat so abschreckend genug, um in unserer Bevölkerung gar nicht erst den Gedanken aufkommen zu lassen, sich den Forderungen der Piraten einfach zu unterwerfen.
Etwa einen Monat nach meiner Rückkehr öffnete Chade mir seine Tür. Ich war ziemlich verärgert über ihn, weil er mich so lange vernachlässigt hatte, und stieg entsprechend langsam die Treppe hinauf. Als ich ins Zimmer trat, hob er den Blick von dem Mörser, in dem er Samenkörner zerstampfte, und zeigte mir ein vor Müdigkeit graues Gesicht. »Ich bin froh, dich zu sehen«, sagte er, doch der Klang seiner Stimme verriet nichts von dieser Freude.
»Deshalb hattest du es so eilig, mich zu empfangen«, bemerkte ich sarkastisch.
Er unterbrach seine Arbeit. »Tut mir leid. Ich dachte, du wärst vielleicht gerne eine Zeit lang ungestört, um dich zu erholen.« Sein Blick senkte sich auf den Mörser. »Auch für mich ist es kein leichter Winter und Frühling gewesen. Sollten wir nicht Vergangenes vergessen und nach vorne schauen?«
Ein freundschaftlicher, vernünftiger Vorschlag. Nur ein Starrkopf
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