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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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hätte gerne länger verweilt, aber meine
Trägerinnen bestanden darauf, dass wir uns beeilen mussten, die anderen einzuholen, bevor sie den Palast erreichten. Ich begriff, dass man einen offiziellen Empfang vorbereitet hatte, bei dem auch ich nicht fehlen durfte.
    Unser Zug schlängelte sich immer höher eine Serpentinenstraße hinauf, bis wir mit unseren Sänften vor dem Palast abgesetzt wurden, der sich als eine wahrhaftige Zusammenballung von farbenfrohen, blütenähnlichen Bauwerken darbot. Die Hauptgebäude waren purpurn und an ihren Spitzen weiß, was mich an die Lupinen an den Wegesrändern Bocklands und unsere blühenden Stranderbsensträucher erinnerte. Ich stand neben meiner Sänfte und schaute an dem Palast hinauf, doch als ich mich zu meinen Trägerinnen herumdrehte, um ihnen meine Bewunderung auszudrücken, waren sie bereits verschwunden. Kurze Zeit später tauchten sie allerdings wieder auf und waren plötzlich wie die übrigen Trägerinnen eindrucksvoll in safranfarbene und azurne Gewänder gewandet, die in ihrer Vielfalt auch pfirsichfarbene und rosarote Töne zeigten, und alle gingen zwischen uns mit Wasserschalen und weichen Tüchern umher, damit wir uns den Staub und die Erschöpfung aus den Gesichtern waschen konnten. Nachdem noch jeder Gast von Knaben und Jünglingen mit Beerenwein und Honigkuchen begrüßt worden war, baten sie uns, ihnen in den Palast zu folgen.
    Das Innere des Palastes kam mir so fremdartig vor wie ganz Jhaampe. Ein mächtiger Mittelpfeiler stützte das Hauptgebäude und entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als der Stamm eines gewaltigen Baumes, dessen Wurzelwerk sich unter den Pflastersteinen wölbte, mit denen der Boden ausgelegt war. Auch die Stützen der anmutig gebogenen Wände waren Bäume, und einige Tage später erfuhr ich, dass das »Wachsen« des
Palastes nahezu einhundert Jahre in Anspruch genommen hatte. Ganz zu Beginn war ein Baum ausgesucht worden, der den Mittelpunkt bilden sollte. Danach wurde das umliegende Areal gerodet, geebnet und anschließend ein kreisförmiger Zaun mit Bäumen gepflanzt. Dieser Zaun aus Bäumen wurde während seines Wachstums so beschnitten und gebunden, dass sich seine Baumstämme schließlich alle dem Mittelbaum zuneigten. Zuletzt hatte man sämtliche anderen Zweige regelmäßig entfernt, die Wipfel zu einem engen Geflecht zusammengeführt und währenddessen in mehreren Arbeitsgängen die Wände geschaffen. Den Anfang dazu machte eine Bespannung aus fein gewobener Leinwand, die mit einer speziellen Substanz getränkt, gehärtet und danach mit zahlreichen Schichten Baststoff überdeckt wurde. Dieser feste Baststoff aus Baumrinde erhielt einen speziellen Auftrag mit einem speziellen Lehm, der nur in der Umgebung zu finden war, und als Letztes erfolgte der bunte Anstrich mit harzhaltigen Farben. Ich konnte allerdings nicht in Erfahrung bringen, ob jedes Bauwerk in der Stadt auf diese langwierige Art entstanden war, aber die außergewöhnliche Architektur verlieh dem Palast der Könige von Jhaampe eine so lebendige Anmut, wie sie mit Stein niemals hätte erreicht werden können.
    Der riesige Innenraum war offen, ganz ähnlich der großen Halle in Bocksburg, und ebenfalls mit mehreren Feuerstellen ausgestattet. Es gab für alle Verrichtungen eines großen Haushalts eigene Bereiche, ob es sich nun ums Kochen, Weben und Spinnen oder das Einmachen von Lebensmitteln ging. Die Privatgemächer versteckten sich allem Anschein in durch Vorhänge abgetrennte Alkoven oder Zeltkammern an der äußeren Wand. Es gab auch eine Art zweites Stockwerk, Zelte auf Stelzen, die über ein Netzwerk offener Treppen erreichbar waren. Bei den
Stelzen handelte es sich erneut um naturbelassene Baumstämme. Mit einer gewissen Beklommenheit erkannte ich, wie schwierig es sein würde, zur Vorbereitung der »diskreten« Arbeit ein abgeschiedenes Plätzchen zu finden.
    Man führte mich eilig zu einem Zeltgemach, wo ich meine Zedernkiste und meinen Kleidersack sowie noch mehr parfümiertes Waschwasser und eine Schale mit Früchten vorfand. Ich tauschte rasch meine staubige Reisekleidung gegen ein besticktes Obergewand mit geschlitzten Ärmeln und dazu passenden engen Hosen, das Mistress Hurtig für eine Gelegenheit wie die bevorstehende für angemessen hielt. Ich wunderte mich erneut über den bedrohlich wirkenden Rehbock auf den Wappen, dann schob ich den Gedanken beiseite. Vielleicht hielt Veritas dieses Wappen für weniger demütigend als das andere, der in aller

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