Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
bei den jährlichen Regengüssen und Stürmen umgestürzt sind.« Mir stockte der Atem. Der Prinz machte damit ein gewaltiges Zugeständnis. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihm unwillkürlich zunickte.
»Wirst du also König Listenreich meine Worte übermitteln und ihm sagen, dass es besser ist, in mir einen lebenden Freund zu haben?«
Ich konnte mir keinen Grund vorstellen, ihm nicht zuzustimmen.
»Aber willst du ihn denn nicht fragen, ob er wirklich hergekommen ist, um dich zu vergiften?«, warf Kettricken ein.
»Wenn er mit Ja antwortet, würdest du ihm stets mit Argwohn begegnen. Wenn er mit Nein antwortet, würdest du ihm vielleicht nicht glauben und ihn auch noch für einen Lügner halten. Und, Schwesterherz, ist dir ein geständiger Giftmischer in diesem Raum nicht genug?«
Kettricken zog den Kopf ein und errötete.
»Nun komm.« Rurisk streckte ihr versöhnlich eine Hand hin. »Wir sollten unserem Gast noch ein wenig Ruhe gönnen, bevor die Feierlichkeiten beginnen. Auch müssen wir in unseren Gemächern sein, bevor sich alle fragen, weshalb wir noch in unseren Nachtgewändern herumgeistern.«
Sie gingen, und ich legte mich ins Bett und wunderte mich. Was waren das für Menschen, mit denen ich es da zu tun hatte? Konnte ich ihrer offenen Art vertrauen, oder spielten sie ein undurchsichtiges Spiel mit mir? Ich wünschte mir Chade herbei, denn mehr und mehr hatte ich das Gefühl, in etwas hineingeraten zu sein, das ich nicht überblicken konnte. Mir fielen die Augen zu, aber ich hielt mich krampfhaft wach. Wenn ich jetzt einschlief,
würde ich vor dem Abend nicht mehr aufwachen. Bald kamen Diener mit Schalen kalten und warmen Wassers und einem Frühstück aus Obst und Käse. Und da ich mir vergegenwärtigte, dass sie möglicherweise von höherer Geburt waren als ich, begegnete ich ihnen mit ausgesuchter Höflichkeit. Später fragte ich mich, ob das nicht das Geheimnis eines harmonischen Zusammenlebens sein könnte, wenn man alle, ob Bedienstete oder Edelleute, mit demselben Respekt behandelte.
Es folgte ein Tag großer Festlichkeiten. Die Eingänge des Palastes standen weit offen, und aus jedem Tal, von jeder Berghöhe, war das Volk herbeigeströmt, um Zeuge dieser Vermählung zu werden. Dichter und Sänger traten auf, und Geschenke wurden ausgetauscht. Auch ich präsentierte feierlich meine prächtigen Pflanzenbücher und Sämereien. Das Zuchtvieh aus den Sechs Provinzen wurde vorgeführt, dann aufgeteilt und an Dorfgemeinschaften weiterverschenkt, die der Hilfe am meisten bedurften, oder an solche, denen man zutraute, die besten Züchtungen zu erreichen. Sämtliche Gaben, ob Geflügel, Vieh, Korn oder Metall, waren in den Palast gebracht und aufgestellt worden, damit alle sie betrachten konnten.
Dort sah ich auch Burrich zum ersten Mal seit Tagen wieder. Seine Lieblinge waren von ihm spiegelblank hergerichtet worden, so, als hätte er sich seit Tagesanbruch mit Pferdebürste und Striegel an ihnen zu schaffen gemacht. Die für Kettricken bestimmte Stute trug Sattel und Zaumzeug aus feinstem Leder, und die Glöckchen in Mähne und Schweif begleiteten jede ihrer Bewegungen mit hellem Bimmeln. Unsere Rösser waren von anderem Schlag als die kleinen, zottigen Bergponys und lockten eine ziemliche Menschenmenge an. Burrich sah müde aus, aber stolz. Kettricken bewunderte die edle Stute ausgiebig, und
ich merkte, wie Burrich bei ihrem Lob und ihrer offen gezeigten Freude allmählich auftaute. Als ich näher trat, hörte ich ihn zu meinem Erstaunen ein stockendes, aber einwandfreies Chyurda sprechen.
Doch der Nachmittag hielt noch eine größere Überraschung für mich bereit. Ein buntes Volk von Palastbewohnern und Besuchern saß einträchtig schmausend an langen Tischen. Ein Teil der Speisen stammte aus der Palastküche, das meiste aber hatte das Bergvolk beigesteuert: Käseräder, dunkles Brot, gedörrtes und geräuchertes Fleisch, Essiggemüse und Körbe mit Früchten. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, nur musste ich meinen angeschlagenen Magen vorerst noch schonen. Am meisten beeindruckte mich die Selbstverständlichkeit dieses Gebens und Nehmens zwischen Königshaus und Untertanen. Dazu passte, dass an den Türen des Palastes keine Wachen standen. Alle aßen und plauderten unbefangen, als gäbe es keinerlei Schranken zwischen ihnen.
Pünktlich zur Mittagsstunde trat Stille ein. Prinzessin Kettricken bestieg das Podium in der Mitte des Saals, um in schlichten Worten bekanntzugeben, dass sie sich
Weitere Kostenlose Bücher