Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
dieses Mal prallte die ganze Kraft meiner Abwehr wie gegen eine Mauer, was mich buchstäblich einknicken und zusammensinken ließ und wobei mir fast schwarz vor Augen wurde. Burrich beugte sich über mich. »Ich habe dich gewarnt«, sagte er halblaut, und es klang wie das Knurren eines Wolfs. Dann fühlte ich zum letzten Mal, wie seine Finger sich in Nosys Nackenfell krallten. Er hob das Tier auf und trug es zur Tür. Mühelos schob er den Riegel zurück, und im nächsten Moment hörte ich den schweren Tritt seiner Stiefel die Treppe hinuntergehen.
Nach wenigen Atemzügen hatte ich mich erholt, sprang auf und warf mich gegen die Tür. Doch Burrich hatte anscheinend irgendwie abgeschlossen, denn ich rüttelte vergeblich an dem Riegel. Ich konnte Nosy immer weniger fühlen, als Burrich sich mit ihm weiter und weiter von mir entfernte, und an die Stelle seiner Gegenwart trat eine abgrundtiefe Einsamkeit. Ich winselte und heulte, kratzte an der Tür und versuchte, das Band zwischen uns aufrechtzuerhalten. Plötzlich durchzuckte ein stechender Schmerz meinen Kopf, und Nosy war fort. Als seine Hundesinne in mir völlig erloschen, schrie und weinte ich wie jeder andere Junge von sechs Jahren und hämmerte in ohnmächtiger Verzweiflung gegen die dicken Bretter.
Stunden vergingen, bis Burrich zurückkehrte. Beim Klang seiner Schritte hob ich den Kopf von der Schwelle, wo ich erschöpft und keuchend niedergesunken war. Als er die Tür öffnete
und ich sofort versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen, bekam er mich am Hemdrücken zu fassen, stieß mich ins Zimmer zurück und schlug die Tür wieder zu. Ich warf mich wortlos dagegen, nur ein Wimmern drang aus meiner Kehle. Burrich setzte sich müde hin.
»Gib es auf, Junge«, sagte er, als wüsste er Bescheid über die verwegenen Fluchtpläne, die sich in meinem Kopf überschlugen. »Er ist fort. Endgültig fort, und das ist eine verfluchte Schande, denn er stammte aus allerbester Zucht. Sein Stammbaum war fast so lang wie deiner. Doch ich opfere lieber einen Hund als einen Menschen.« Als ich ihm weiter regungslos den Rücken zuwandte, fügte er beinahe gütig hinzu: »Hör auf, ihm nachzutrauern. Dann erträgt es sich leichter.«
Aber dazu war ich nicht fähig, und der Ton seiner Stimme verriet mir, dass er es auch nicht wirklich erwartet hatte. Er seufzte und begann schwerfällig mit seinen allabendlichen Vorbereitungen zum Schlafengehen. Es fiel kein weiteres Wort mehr, schweigend löschte er die Lampe und legte sich hin. Doch er schlief nicht, und es war lange vor Tagesanbruch, als er sich erhob, mich vom Boden aufnahm und in die warme Mulde bettete, die sein Körper in den Decken hinterlassen hatte. Er ging hinaus und kam erst Stunden später wieder.
Was mich betraf, ich war noch Tage krank vor Trauer und fieberte. Ich nehme an, Burrich erzählte, ich hätte irgendeine Kinderkrankheit, und so ließ man mich in Frieden. Als ich wieder nach draußen durfte, war es vorbei mit meiner unbeschwerten Freiheit. Burrich beaufsichtigte mich genau und achtete darauf, dass ich nicht wieder Freundschaft mit einem Tier schloss. Bis zu einem bestimmten Grad hatte er Erfolg, denn es entstand keine besonders enge Verbindung zu einem bestimmten Hund
oder Pferd. Ich weiß, er meinte es gut, trotzdem fühlte ich mich von ihm nicht beschützt, sondern eingeengt. Er war der Wärter, der mit fanatischem Eifer meine Absonderung überwachte. Damals wurde das Samenkorn der Einsamkeit in meine Seele gepflanzt, schlug Wurzeln und gedieh zu einem unausrottbaren Teil meines Wesens.
KAPITEL 3
DIE ABMACHUNG
D er Ursprung der Gabe wird wohl auf ewig geheimnisumwittert bleiben. Zwar vererbt sich dieses Talent auffallend dominant in der königlichen Familie, aber es zeigt sich keineswegs ausschließlich bei Angehörigen des Herrscherhauses. Der Volksmund scheint hier Recht zu haben, der sagt: »Wenn das Blut vom Meer sich mit dem Blut der Ebenen vermischt, wird die Gabe gedeihen.« Interessant auch festzustellen, dass die Outislander keine Veranlagung für die Gabe besitzen, ebenso wenig die Menschen, die in direkter Linie von den alteingesessenen Bewohnern der Sechs Provinzen abstammen.
Ist es der Lauf der Welt, dass alle Dinge ein Gleichmaß suchen und in diesem Gleichmaß eine Art von Frieden? Mir kommt es so vor. Alle Ereignisse, wie erschütternd oder bizarr sie auch immer wirken, zerstreuen sich schon innerhalb kurzer Zeit durch die notwendigen Verrichtungen des alltäglichen Lebens. Männer,
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