Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Vater, Ihr redet von diesen Dingen vor den Ohren des Jungen. Davon, ihn als Werkzeug zu benutzen, als Waffe. Glaubt Ihr nicht, dass er sich an Eure Worte erinnern wird, wenn er erwachsen ist?«
König Listenreichs Lachen hallte von den Steinwänden des Großen Saals wider. »Sich an sie erinnern? Natürlich wird er das tun. Ich will es hoffen. Sieh in seine Augen, Edel. In ihnen spiegelt sich Intelligenz und möglicherweise ein Talent für die Gabe wider. Ich wäre töricht, ihn zu belügen. Törichter noch, mit seiner Erziehung und Ausbildung zu beginnen, ohne ihm vorher reinen Wein einzuschenken. Weshalb sollten wir also seinen Verstand brachliegen lassen für eine Ernte, die dann andere dort einpflanzen? Oder was meinst du, Junge?«
Er sah mich unverwandt an, und ich merkte plötzlich, dass ich seinen Blick erwiderte. In den Augen des Mannes, der mein
Großvater war, erkannte ich eine Redlichkeit, die von einer knorrigen, nüchternen Art war. Ich fand darin zwar keinen Trost und keine Wärme, aber ich wusste, ich würde mich stets darauf verlassen können. Ich nickte also langsam.
»Komm her.«
Schüchtern ging ich zu ihm hin. Als ich vor ihm stand, beugte er sich auf ein Knie, so dass wir uns auf gleicher Höhe befanden. Der Narr kniete sich sogleich neben uns hin und blickte ernsthaft von einem zum anderen. Edel blickte wütend auf uns herab. Damals hätte ich aber niemals die Ironie der Situation erkannt: Der alte König beugte das Knie vor seinem Enkel - dem Bastard. Widerstandslos ließ ich es geschehen, dass er mir das Obsttörtchen aus der Hand nahm und den jungen Hunden hinwarf, die hinter mir her scharwenzelt waren. Er zog eine Nadel aus dem Seidenjabot an seinem Hals und steckte sie feierlich an mein einfaches und grobes Wollhemd.
»Jetzt gehörst du mir«, sagte er und verlieh dieser Besitznahme mehr Gewicht als irgendeiner Blutsverwandtschaft. »Du sollst keines anderen Mannes Brot essen. Ich werde für dich sorgen und es dir an nichts fehlen lassen. Wenn irgendjemand jemals versucht, dich mit Gut und Geld zum Verrat an mir zu bewegen, dann komm zu mir, und dir wird an nichts mangeln. Du wirst mich niemals als Geizhals erleben und du wirst nie mit Recht behaupten können, ich hätte dir einen triftigen Grund zu einem Verrat mir gegenüber geboten. Glaubst du mir das, mein Junge?«
Ich nickte stumm, wie es immer noch meine Gewohnheit war, doch seine zwingenden braunen Augen verlangten mehr.
»Ja, Eure Majestät.«
»Gut. Ich werde, was dich betrifft, schon bald einige Anweisungen geben. Befolge sie. Falls dir etwas befremdlich erscheint,
wende dich an Burrich. Oder an mich. Du brauchst nur an die Tür zu meinen Gemächern zu klopfen und diese Nadel vorzuzeigen. Man wird dich einlassen.«
Ich blickte auf den roten Stein in seiner Fassung aus Silber. »Ja, Eure Majestät.«
»Nun gut«, erwiderte er mit sanfter Stimme, während ich einen Ausdruck dunklen Bedauerns in seinem Blick verspürte. Ich fragte mich, was der Grund dafür sein mochte. Dann entließ er mich aus dem Bann seiner Augen, und auf einmal war ich mir wieder meiner Umgebung bewusst, der jungen Hunde, der Anwesenheit von Edel, sichtlich aus der Fassung gebracht, und des Narren, der in seiner marionettenhaften Art voller Begeisterung nickte.
Der König erhob sich. Als er sich von mir abwandte, überlief mich ein Frösteln, als wäre mir ein wärmender Umhang von den Schultern geglitten. Ich hatte zum ersten Mal die Macht der Gabe gespürt, mit höchster Meisterschaft praktiziert.
»Du bist nicht einverstanden, Edel?« Die Frage wurde in unverbindlichem Plauderton gestellt.
»Mein König hat das Recht zu handeln, wie es ihm beliebt.«
König Listenreich seufzte. »Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Meine Mutter, die Königin, wird gewiss nicht einverstanden sein. Den Jungen zu protegieren erweckt den Eindruck, dass Ihr ihn anerkennt. Damit bringt man ihn auf Gedanken und manche anderen ebenfalls.«
»Pfui!« Der König lachte lautlos in sich hinein.
Sofort schwoll Edel der Kamm. »Meine Mutter, die Königin, wird Eure Handlungsweise nicht gutheißen und alles andere als erfreut sein. Meine Mutter …«
»Heißt seit Jahren nichts mehr gut, was ich tue, und auch erfreut ist sie seit langem nicht mehr gewesen. Ich nehme es kaum noch zur Kenntnis, Edel. Sie wird zetern und zum wiederholten Mal verkünden, sie werde nach Farrow zurückkehren, um dort als Herzogin zu regieren und du als Herzog nach ihr. Vielleicht, wenn
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