Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
warf verzerrte Schatten an die Wände. »Wach auf, Fitz«, flüsterte er drängend. »Ein Laufbote ist zur Burg gekommen, er
wurde von Lady Quendel geschickt. Sie will dich sehen, auf der Stelle. Dein Pferd wird schon gesattelt.«
»Mich?«, fragte ich begriffsstutzig.
»Natürlich. Ich habe deine Kleider hier. Sei leise. Der Prinz schläft noch.«
»Was will sie von mir?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht ist sie krank. Der Bote sagte nur, sie verlangt nach dir. Du wirst schon erfahren, worum es sich handelt, wenn du bei ihr bist.«
Ein schwacher Trost, aber meine Neugier war geweckt, und davon abgesehen blieb mir in jedem Fall nichts anderes übrig, als dem Ruf zu folgen. Ich wusste nicht genau, in welcher Beziehung Lady Quendel zum Königshaus stand, doch sie war von erheblich höherem Rang als ich und konnte von mir absoluten Gehorsam verlangen. Rasch warf ich die Kleider über und verließ zum zweiten Mal in dieser Nacht das Zimmer. Hands hielt Rußflocke schon für mich bereit und auch ein paar derbe Späße darüber, dass es den alten Drachen so spät noch nach einem Schäferstündchen gelüstete. Ich machte ihm daraufhin meinerseits einige schlüpfrige Andeutungen, wie er sich selbst die Nacht um die Ohren schlagen könnte, und stieg in den Sattel. Die Wachen, die von meinem Kommen unterrichtet waren, winkten mich durch das Tor und die Außenbefestigungen.
In der Stadt verirrte ich mich zweimal. Bei Nacht sah alles fremd aus, zumal ich zuvor nie besonders auf meine Wege in der Stadt geachtet hatte. Letzten Endes fand ich das Gasthaus dann doch wieder. Die besorgte Wirtin hatte ein Licht ins Fenster gestellt und erwartete mich. »Seit fast einer Stunde jammert und ruft sie nach Euch, junger Herr«, empfing sie mich aufgeregt.
»Ich fürchte, es ist ernst, aber sie will niemanden anderen zu sich lassen als Euch.«
Ich eilte den Gang entlang und klopfte vorsichtig an die Tür, schon halb in der Erwartung, beschimpft und zum Teufel geschickt zu werden. Doch nein, von drinnen rief mir eine zitternde Stimme entgegen: »O Fitz, bist du endlich hier? Komm herein, Junge, ich brauche dich.«
Bevor ich allerdings die Klinke niederdrückte, atmete ich einmal tief durch, um gegen den Schwall der unterschiedlichen Gerüche gewappnet zu sein, die mir aus dem halbdunklen Zimmer entgegenzuschlagen drohten. Es gibt keinen schlimmeren Verwesungsgestank als dieser Pesthauch, dachte ich bei mir.
Vorhänge aus dickem Stoff umschlossen das Bett. Das einzige Licht im Raum stammte von einer kümmerlichen, blakenden Kerze. Ich nahm sie vom Tisch und trat näher an das Bett heran. »Lady Quendel?«, fragte ich leise. »Was fehlt Euch?«
»Junge.« Die Antwort kam leise aus einer dunklen Ecke des Zimmers.
»Chade«, sagte ich und kam mir augenblicklich so dumm vor, dass ich bis heute nicht gerne daran zurückdenke.
»Es bleibt keine Zeit, dir alles haarklein zu erklären. Nimm’s dir nicht zu Herzen, Junge. Lady Quendel hat zu ihrer Zeit viele hinters Licht geführt und wird es auch weiterhin tun. Das hoffe ich zumindest. Jetzt aber vertrau mir und stell keine Fragen. Tu einfach, was ich dir sage. Erstens, geh zur Wirtin. Sag ihr, Lady Quendel habe einen ihrer Anfälle und brauche nun einige Tage absoluter Ruhe. Sag ihr, sie darf unter keinen Umständen gestört werden. Ihre Urenkelin wird kommen, um sie zu pflegen …«
»Wer …«
»Ist bereits alles in die Wege geleitet. Diese Urenkelin wird ihr das Essen bringen und alles, was sie sonst noch braucht. Du musst nur ausdrücklich betonen, dass Lady Quendel in Ruhe gelassen werden will. Geh und erledige das nun.«
Ich gehorchte, und offenbar machte ich einen so verstörten Eindruck, dass ich äußerst überzeugend wirkte. Die Wirtin versprach hoch und heilig, sie werde es nicht dulden, dass in der Nähe des Zimmers sich jemand auch nur zu husten erdreistete, denn keinesfalls wolle sie sich Lady Quendels gute Meinung von ihrem Haus und ihrer Wirtschaft verscherzen. Was den Schluss nahelegte, dass Lady Quendel sie wahrhaft großzügig entlohnte.
Ich kehrte ins Zimmer zurück. Chade schob den Riegel vor und entzündete an dem niedergebrannten Stummel eine frische Kerze, dann strich er auf dem Tisch daneben eine Landkarte glatt. Mir fiel auf, dass er Reisekleidung trug - Umhang, Stiefel, Wams und Hose, alles in Schwarz. Er sah aus wie ein anderer Mensch und wirkte sehr drahtig und tatkräftig. Ich fragte mich, ob der alte Mann in der fadenscheinigen Kutte auch nur eine
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