Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Gerüchte von früher entsinnen könnten, wer in der Gabe ausgebildet worden wäre. Natürlich fragte ich nicht so offen. Ich wollte nicht und will auch jetzt nicht, dass meine Suche bekannt wird.«
»Darf ich fragen, warum nicht?«
Er runzelte die Stirn und deutete mit einem Kopfnicken auf die Karten. »Ich bin nicht so brillant wie dein Vater, mein Junge. Chivalric besaß eine intuitive Kombinationsgabe, die an Zauberei grenzte. Ich dagegen ziehe nur einige Schlüsse. Kommt es dir wahrscheinlich vor, dass jeder Gabenkundige, den ich finde,
entweder gestorben sein soll oder sich in Luft aufgelöst hat? Mir scheint eher, dass, wenn ich einen entdecke und sein Name wird mit der Gabe in Verbindung gebracht wird, die Folgen für den Betreffenden einigermaßen unangenehm sind.«
Wir schwiegen eine Wei le. Veritas ließ mich mei ne eigenen Schlüsse ziehen, und ich war klug ge nug, sie nicht auszusprechen. »Und die Uralten?«, fragte ich schließlich.
»Auch ein Rätsel, aber anderer Art. Zu der Zeit, als man über sie schrieb, wusste alle Welt, wer und was sie waren. Nehme ich an. Es wäre das Gleiche, wenn du dich daran machen würdest, eine Schrift zu finden, in der ge nau erklärt ist, was man sich genau unter einem Pferd vorzustellen hat. Du würdest sicher in allen möglichen Texten Pferde erwähnt finden, darunter exakte Beschreibungen der Technik, wie man ein Pferd beschlägt, oder den seitenlangen Stammbaum ei nes Hengstes. Doch wer von uns würde Zeit und Mühe da rauf verwenden, haarklein aufzuschreiben, was genau ein Pferd ist?«
»Ich verstehe.«
»Deshalb geht es wieder darum, Bruchstücke zusammenzutragen und mit der Zeit vielleicht ein genaueres Bild zu erhalten. Ich hatte bisher die Zeit nicht, mich da mit zu beschäftigen.« Einen Moment lang ruhte sein Blick auf mir, dann öffnete er eine kleine Schatulle auf sei nem Tisch und nahm ei nen Schlüssel heraus. »In meinem Schlafzimmer steht ein Schrank«, sagte er langsam. »Dort habe ich an Schrift rollen gesammelt, was ich finden konnte, in denen die Uralten erwähnt sind, und sei es nur bei läufig. Einige beschäftigen sich auch mit der Gabe. Du hast mei ne Erlaubnis, sie zu studieren. Bitte Fedwren um gutes Papier und mach dir Notizen von allem, was dir bemerkenswert erscheint. Überprüfe die Aufzeichnungen danach, ob sich bestimmte Muster ergeben. Und leg mir etwa jeden Monat deine Notizen dazu vor.«
Ich nahm den kleinen Messingschlüssel in die Hand. Er wog eigenartig schwer, fast wie als Symbol der Aufgabe, die der Narr angeregt und Veritas nun bekräftigt hatte. Suche nach Mustern, hatte er gesagt. Plötzlich erkannte ich ein sol ches, nämlich ein Netz von Fäden, das von mir zu dem Narren, zu Veritas und wieder zu rück gesponnen war. Wie auch die anderen Muster, die Veritas gefunden hatte, so schien auch dieses nicht zufällig zu sein. Wer hatte es entworfen? Ich blickte Veritas an, doch er war mit sei nen Gedanken weit fort. Ich entfernte mich leise.
Als ich die Türklinke niederdrückte, sagte er: »Komm zu mir. Morgen in aller Frühe. In meinen Turm.«
»Hoheit?«
»Vielleicht entdecken wir ganz unvermutet noch einen anderen Gabenkundigen in unserer Mitte.«
KAPITEL 12
AR BEITEN
V ielleicht der niederschmetterndste Aspekt unseres Konflikts mit den Roten Korsaren war das Gefühl der Hilflosigkeit, das von uns Besitz ergrif. Es war, als wäre das Land und seine Herrscher von einer furchtbaren Lähmung befallen. Die Taktik der Korsaren war dermaßen unbegreiflich, dass wir in dem ersten Jahr der Heimsuchung wie betäubt waren und kaum Gegenwehr ergifen. Erst im zweiten Jahr versuchten wir, uns ofensiver zu verteidigen. Doch unsere Kriegskunst wirkte wie eingerostet. Zu lange hatten wir es nur mit dem gewöhnlichen Raubgesindel zu tun gehabt, den Habgierigen wie den Verzweifelten. Gegen organisierte Piraten, die den Verlauf unserer Küste mit der Position unserer Wachtürme, Tiden, Strömungen und Untiefen genau erkundet hatten, waren wir weitgehend machtlos. Nur Prinz Veritas’ Gabe bot uns ein gewisses Maß an Schutz. Wie viele Schife er vom Kurs abbrachte, wie viele Navigatoren er verwirrte, wie viele Rudergänger er täuschte, werden wir niemals wissen. Doch weil seine Untertanen so nicht begreifen konnten, was er genau für sie tat, war es so, als blieben die Weitseher untätig. Man sah nur die erfolgreichen Überfälle der Piraten, niemals ihre Schife, die an den Klippen zerschellten oder von einem Sturm weit nach Süden
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