Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
spannten, um mein Gewicht zu halten. Nur noch ein kleines Stück, gelobte ich mir, und tastete mich zwei Schritte nach unten vor.
Der Sims von Mollys Fenster war schmaler, als ich gehofft hatte. Ich ließ das Seil um meinen Arm geschlungen, während ich dort kauerte. Das Holz der Fens terläden war so verzogen, dass sich die Messerklinge ohne Schwierigkeiten dazwischenschieben ließ. Der obere Riegel fiel zurück, und ich war gerade mit dem unteren beschäftigt, als ich von drinnen ihre Stimme hörte.
»Wenn du he reinkommst, schreie ich. Dann hast du es mit der Wache zu tun.«
»Dann stellst du am besten schon einmal Teewasser für sie auf«, entgegnete ich grimmig und hantierte weiter am unteren Riegel.
Einen Augenblick später riss Molly die Läden auf. Sie stand
dort im Nachthemd und mit aufgelöstem Haar, um die Schultern trug sie ein wollenes Tuch, hinter ihr der flackernde Schein des Feuers im Kamin.
»Geh weg«, fauchte sie. »Verschwinde.«
»Ich kann nicht«, japste ich. »Mir fehlt die Kraft, um wieder nach oben zu klettern, und das Seil reicht nicht bis ganz nach unten.«
»Jedenfalls kannst du nicht hereinkommen«, wiederholte sie starrsinnig.
»Na gut.« Ich machte es mir auf dem Sims bequem, ein Bein im Zimmer, das andere baumelte nach draußen. Der Wind fegte an mir vorbei, bauschte ihr Nachthemd und ließ das Feuer auflodern. Ich schwieg. Nach einer Weile begann sie zu frösteln.
»Was willst du?«, fragte sie ärgerlich.
»Dich. Ich wollte dir sagen, dass ich morgen zum König gehe, um von ihm die Erlaubnis zu erbitten, dich hei raten zu dürfen.« Die Worte kamen mir ohne Absicht über die Lippen. Mir wurde schwindelig bei dem plötzlichen Bewusstein, dass ich alles sagen und tun konnte. Einfach alles.
Molly starrte mich an, dann sagte sie mit kehliger Stimme: »Ich habe nicht den Wunsch, dich zu heiraten.«
»Das würde ich ihm selbstverständlich nicht sagen.« Ich grinste sie an.
»Du bist unerträglich!«
»Ja. Und ich friere. Bitte, lass mich hi nein, und sei es nur, da mit ich mich aufwärmen kann.«
Sie gab mir kei ne wörtliche Erlaubnis, trat dann aber doch vom Fenster zurück. Ich sprang leichtfüßig ins Zimmer, ohne den aufzuckenden Schmerz in meinem Arm zu beachten, und schloss und verriegelte daraufhin die Läden. Dann ging ich zum Kamin und warf mehr Holz ins Feuer, um die Kälte aus dem Raum zu vertreiben.
Als die Flam men hochzüngelten, rieb ich mir da rüber die Hände. Molly sagte kein Wort. Kerzengerade stand sie da und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Ich sah zu ihr hin und lächelte.
Sie verzog keine Miene. »Du solltest gehen.«
Ich fühlte, wie mein eigenes Lächeln aus dem Gesicht verschwand. »Molly, bitte rede mit mir. Das letzte Mal, als wir mit einander gesprochen haben … ich dachte, wir hätten uns verstanden. Seither aber schweigst du beharrlich, du wendest dich ab … Ich weiß nicht, was sich verändert hat. Ich weiß nicht, was zwischen uns getreten ist.«
»Die Wirk lichkeit.« Plötzlich sah sie sehr zerbrechlich aus. »Die Wirklichkeit ist zwischen uns getreten. FitzChivalric (wie fremd der Name von ihren Lippen klang), ich habe Zeit gehabt, nachzudenken. Wärst du vor einer Woche oder vor einem Monat wie jetzt zu mir gekommen, dann hätte ich mich von deinem frechen Lächeln erobern lassen.« Sie selbst gestattete sich den Schatten eines wehmütigen Lächelns. Als erinnerte sie sich an einen lange zurückliegenden Sommertag mit dem aus gelassenen Spiel eines Kindes, das nun im Grabe lag. »Aber du kamst nicht. Du hast getan, was recht und schicklich war, und so dumm es sich anhört, ich fühlte mich dadurch verletzt. Ich sagte mir, wenn deine Liebe wirklich so groß wäre, wie du mir geschworen hattest, würde dich nichts, weder Mauern noch Anstand oder Hofetikette, davon abhalten können, mich zu se hen. Die Nacht, als du kamst, als wir … doch auch das änderte nichts, denn du kamst nicht wieder.«
»Aber nur deinetwegen nicht, um deinen guten Ruf …«, entgegnete ich ihr verzweifelt.
»Lass mich ausreden. Ich habe dir gesagt, es war dumm. Aber Gefühle sind nicht immer klug. Gefühle sind einfach da. Dass du mich liebst, ist nicht klug; dass ich deine Liebe erwiderte, war
ebenfalls nicht klug. Ich habe das erkannt. Und ich habe eingesehen, dass die Ge fühle sich dem Verstand unterordnen müssen.« Sie seufzte. »Ich war so zornig, als dein Onkel das erste Mal mit mir redete. So wütend. Er brachte mich so weit, dass ich
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