Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
die ein zige meiner Theorien, in der fast alles zusammenpasst.«
Er stand auf, und ich schaute zu, wie er eine bauchige braune Kanne ausschwenkte, das Briefchen mit den Kräutern hineinwarf und kochendes Wasser darübergoss. Der Duft eines Kräutergartens zog durch den Raum. Ich prägte mir dieses anheimelnde Bild eines alten Mannes, wie er den De ckel auf die Kan ne setzte und sie sorgfältig nebst zwei Bechern auf das Tablett stellte, und verstaute es sorgfältig in einem Winkel meines Herzens. Das Alter nagte an Chade, so unaufhaltsam wie die Krankheit an seinem Halbbruder. Seine Bewegungen waren nicht mehr ganz so schnell, seine vogelähnliche Lebhaftigkeit nicht ganz so flink wie früher. Traurigkeit überkam mich bei dieser Ahnung des Unausweichlichen. Als er mir den Becher mit dem heißen Tee in die Hand drückte, runzelte er über meinen Gesichtsausdruck die Stirn.
»Was ist?«, flüsterte er. »Willst du Honig dazu?«
Ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab, nippte vorsichtig am Tee und hätte mir fast die Zunge verbrannt. Ein angenehmer Geschmack
überlagerte die bittere Elfenrinde. Nach wenigen Augenblicken fühlte ich, wie mein Kopf klar wurde und ein Schmerz, dessen ich mir gar nicht bewusst gewesen war, wieder abebbte. »Viel besser«, seufzte ich, und Chade bedankte sich für mein Lob mit einer angedeuteten Verbeugung und zeigte sich ganz zufrieden mit sich selbst. Dann nahm er den Faden des Gesprächs wieder auf.
»Es ist trotz allem eine schwache Theorie. Vielleicht haben wir es nur mit einem selbstsüchtigen Prinzen zu tun, der in Abwesenheit des Erben vor seinen Anhängern den Hausherrn spielt. Er vernachlässigt den Schutz seiner Küste, weil er kurzsichtig ist und weil er erwartet, dass sein Bruder, wenn er nach Hause kommt, den Schlamassel wieder in Ordnung bringt, den er angerichtet hat. Er plündert die Staatskasse und verkauft Pferde und Vieh, um sich die Taschen zu füllen, während niemand da ist, der ihm Ein halt gebietet.«
»Wenn das stimmt, wes halb sollte er dann Bearns als Ver räter brandmarken? Und Kett ricken als fremdländischen Eindringling hinstellen? Weshalb Veritas und sei ne Expedition zum Gespött des Volkes machen?«
»Eifersucht. Edel ist im mer der verwöhnte Liebling seines Vaters gewesen. Ich glaube nicht, dass er sich gegen ihn wenden würde.« Etwas in Chades Stimme verriet mir, dass es das war, was er glauben wollte. »Von mir stammen die Kräuter, die Wallace dem König gegen seine Schmerzen verabreicht.«
»Ich misstraue deinen Kräutern nicht. Aber ich be fürchte, dass ihnen noch andere hinzugefügt werden.«
»Was wäre der Sinn davon? Selbst wenn Listenreich stirbt, ist Veritas immer noch der Erbe.«
»Außer Veritas stirbt vor ihm.« Ich hob die Hand, als Chade zum Protest den Mund aufmachte. »Es muss nicht wirklich geschehen.
Falls Edel über den Zirkel gebietet, kann er jederzeit mit der Nachricht von Veritas’ Tod aufwarten. Edel wird zum Thronfolger ernannt. Und dann …« Ich ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.
Chade stieß einen langen Seufzer aus. »Genug. Du hast mir reichlich Stoff zum Nachdenken gegeben. Ich werde diese Mutmaßungen auf mei ne Weise überprüfen. Vorläufig aber musst du auf dich aufpassen. Und auf Kett ricken. Und auch auf den Narren. Ist an deinen Vermutungen auch nur ein Körnchen Wahrheit, seid ihr alle für Edel Hindernisse auf dem Weg zu seinem Ziel.«
»Und was ist mit dir?«, fragte ich. »Wes halb auf einmal dieses Flüstern? Was ist der Grund für deine Vorsicht?«
»Neben diesem Gemach befindet sich ein weiteres, das bisher immer leergestanden hat. Doch neuerdings ist einer von Edels Gästen da rin untergebracht. Vigilant, sein Vetter und Erbe von Farrow. Der Mann hat einen ungemein leichten Schlaf. Bei den Dienern beschwert er sich über Ratten im Mauerwerk. Dann hat vergangene Nacht Schleicher einen Kessel umgeworfen. Von dem Scheppern ist er aufgewacht. Überdies scheint er noch von unstillbarer Neugier geplagt zu sein, denn jetzt fragt er die Leute, ob es in Bocksburg schon einmal gespukt hat. Und ich habe ihn die Wände abklopfen hören. Ich glaube, er hat be reits den Verdacht, dass es ein geheimes Zimmer gibt. Kein Grund zu großer Sorge, denn ich bin sicher, er wird bald abreisen, aber etwas mehr Vorsicht ist doch angebracht.«
Ein Gefühl sagte mir, dass das nicht alles war, aber was Chade nicht preisgeben wollte, ließ er sich auch durch weiteres Fragen nicht entlocken. Doch eines musste
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