Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Balsam für uns alle. Wir hatten gekämpft und gut gekämpft. Guthaven würde neu aufgebaut werden, und den Outislandern war es nicht gelungen, sich in Burg Seewacht festzusetzen. Fast schien es sogar möglich, dass wir uns von ihrer Heimsuchung gänzlich würden befreien können.
Noch bevor wir Guthaven verließen, wurden die Lieder gesungen, über die Königin mit geschürzten Röcken, die den Roten Schiffen eine bittere Niederlage bereitete, und von dem ungeborenen Kind unter ihrem Herzen, das schon ein kleiner Krieger war. Dass die Königin nicht nur bereit gewesen war, ihr eigenes Leben für Rippon aufs Spiel zu setzen, sondern auch das des Thronerben, machte tiefen Eindruck auf die Menschen. Erst Herzog Brawndy von Bearns und nun Kelvar von Rippon, dachte ich bei mir. Kettricken hatte einigen Erfolg darin, die Herzöge an sich zu binden.
Für mich hielt Burg Seewacht sowohl sehr herz liche als auch recht bedrohliche Momente bereit. Lady Grazia erkannte mich im Bankettsaal und trat auf mich zu, um mit mir zu spre chen. »Wer hätte das gedacht«, meinte sie, nachdem wir uns be grüßt hatten, »mein Hun dejunge aus der Küche hat königliches Blut in den Adern. Kein Wunder, dass dein Rat von damals so treffend war.« Sie war bemerkenswert gut in ihre Rolle als Herzogin hineingewachsen. Immer noch begleitete ihr Schoßhund sie überallhin, doch trug sie ihn nicht mehr auf dem Arm, sondern er trippelte eifrig hinter ihr her. Allein diese Veränderung freute mich fast
so sehr wie ihre aristokratische und doch liebenswürdige Haltung und die offensichtliche Zuneigung zwischen den Eheleuten.
»Wir beide haben uns sehr verändert, Lady Grazia«, erwiderte ich, und sie akzeptierte schweigend das indirekte Kompliment. Zu unserem bisher einzigen Zusammentreffen war es gekommen, als ich im Gefolge von Prinz Veritas nach Guthaven gereist war. Zu der Zeit hatte sie sich als frischgebackene Herzogin weniger behaglich gefühlt. Ich traf sie in der Küche, als ihr klei ner Hund an einer Fischgräte zu ersticken drohte. Es war mir ge lungen, ihn zu retten und sie davon zu überzeugen, dass das Geld des Herzogs besser für den Unterhalt der Wachtürme ausgegeben werden sollte als für Schmuck und Tand. Damals war sie erst im Begriff gewesen, eine Herzogin zu werden. Doch wie sie jetzt so vor mir stand, schien sie nie etwas anderes gewesen zu sein.
»Inzwischen kein Hundejunge mehr?«, fragte sie mit gut mütigem Spott.
»Hundejunge? Wolfsmann!«, bemerkte jemand. Ich schaute mich nach der Stim me um, aber der Saal war voller Menschen, und kein Gesicht schien uns zugewandt zu sein. Ich zuckte die Schultern, als wäre die Bemerkung unwichtig, und Lady Grazia schien sie gar nicht gehört zu haben. Bevor sie ging, machte sie mir zum Zeichen ihrer Gunst ein Geschenk. Ich muss auch heute noch lächeln, wenn ich daran denke: Es war eine winzige Anstecknadel in Form von Fischgräten. »Ich habe sie mir als Erinnerung machen lassen. Jetzt möchte ich, dass du sie hast.« Sie selbst trug nur noch selten Schmuck, erzählte sie mir. Wir standen auf einem Balkon, als sie mir das Geschenk überreichte; es war Nacht, und die Lichter von Herzog Kelvars Wachtürmen glitzerten wie Diamanten am nachtschwarzen Himmel.
KAPITEL 25
BOCK SBURG
B urg Fierant am Vinfluss war eine der traditionellen Residenzen der herrschenden Familie von Farrow. Dort wuchs Königin Desideria auf, und dorthin kehrte sie auch mit ihrem Sohn Edel in den Sommern seiner Kindheit zurück. Die Stadt Fierant am Fuß der Burg ist ein lebhafter Ort, ein Mittelpunkt des Handels in einer fruchtbaren Region der Obsthaine und Getreidefelder. Waren werden hier auf dem Wasserweg transportiert; der Vin ist ein behäbiger Strom, der flache Lastkähne und kleine Vergnügungsschife geduldig auf seinem breiten Rücken trägt. Königin Desideria war zu Lebzeiten niemals müde geworden zu behaupten, ihr Zuhause wäre Bocksburg in jeder Hinsicht überlegen und weit besser geeignet als Sitz der königlichen Familie.
Die Rückreise nach Bocksburg war nur im Hinblick auf klei nere Ereignisse bemerkenswert. Als für uns der Zeitpunkt kam, Abschied zu neh men, war Kett ricken müde und erschöpft. Auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, man sah es ihr doch an den Ringen unter ihren Augen und dem blassen Mund an. Herzog Kelvar stellte ihr eine Sänfte zur Verfügung, aber schon bald erwies sich, dass das Schaukeln ihre Unpässlichkeit noch verschlimmerte.
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