Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
doch sie hatte sich das Gift mit ihrer eigenen, willensschwachen Hand verabreicht. Ich hatte es immer gewusst. Doch weil mir diese Tatsache als so selbstverständlich erschienen war, hat te ich nicht mit dem Hass gerechnet, der im Herzen eines verwöhnten Sohnes schwelte, der sich plötzlich seiner Mutter beraubt sah.
War Edel imstande, einer solchen Sache wegen zu töten? Natürlich. Hätte er Skrupel, die Sechs Provinzen an den Rand des Untergangs zu bringen, um Vergeltung zu üben? Nein. Die Inlandprovinzen, für ihn stets der verlässliche Rückhalt sei ner aus dem Binnenland stammenden Mutter, nur die waren ihm wichtig. Bevor Desideria sich König Listenreich anvermählt hatte, war sie Herzogin von Farrow gewesen. Berauscht von Wein und Drogen, pflegte sie oft zu behaupten, dass ihr als Herzogin weit größere Macht zu Gebote gestanden wäre denn als Königin. Danach wäre es ihr auch ein Leichtes gewesen, Farrow und Tilth dazu zu bewegen, sich aus dem Verbund der Sechs Provinzen zu lösen und mit ihr als Königin zu einem eigenen Reich zusammenzuschließen. Galen, der Gabenmeister und gleichzeitig Königin Desiderias Bastardsohn, hatte Edels Hass zusammen mit seinem eigenen gehegt und gepflegt. War es ein Hass, der groß genug war, um den von ihm geschaffenen Zirkel Edel als Werkzeug für sei ne Rachegelüste zur Verfügung zu stellen? Mir erschien dies als ungeheuerliches Verbrechen, doch ja, es war mög lich. Er hätte es ge tan. Hunderte von Unschuldigen wurden erschlagen, entfremdet, Kinder verwaist, ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, und all das nur, weil ein in seinem Stolz gekränktes Muttersöhnchen glaubte, Rache nehmen zu müssen für ein Unrecht, das ihm nur in seiner Einbildung widerfahren war. Das alles erschien mir kaum vorstellbar, aber es passte. Es passte so lückenlos wie ein Sargdeckel.
»Vielleicht sollte der gegenwärtige Herzog von Farrow anfangen, sich um seine Gesundheit Sorgen zu machen«, überlegte ich.
»Er teilt die Vorliebe seiner älteren Schwester für guten Wein und Rauschmittel. Falls er damit ausgestattet ist und sich für nichts sonst interessiert, wird er vermutlich ein langes Leben haben.«
»Wie vielleicht auch König Listenreich?«, warf ich vorsichtig ein.
Ein schmerzhaftes Zucken erfasste das Gesicht des Narren. »Ich glaube nicht, dass ihm noch ein langes Leben beschieden sein wird«, sagte er still. »Aber die kurze Spanne, die ihm noch bleibt, sollte ihm keine Mühsal mehr bereiten und nicht erfüllt sein von Mord und Totschlag.«
»Du glaubst, dazu wird es kommen?«
»Wer weiß, was alles nach oben steigt, wenn man im Kessel rührt?« Er ging zur Tür, aber als er dort angekommen war, blieb er noch ein mal stehen und sah mich an. »Des halb bitte ich dich, das Rühren zu unterlassen, Meister Löffel. Lass die Dinge ruhen.«
»Das kann ich nicht.« Auf mei ne Antwort hin leg te er die Stirn an den Türrahmen, was mir als eine ganz und gar unnärrische Geste erschien. »Dann wirst du der Tod von Königen sein«, wa ren seine kummervollen Worte, die er beinahe flüsterte. »Du weißt was ich bin. Ich habe es dir gesagt. Ich habe dir gesagt, weshalb ich hergekommen bin. Das Ende des Geschlechts der Weitseher war einer der Wendepunkte. Kettricken trägt einen Erben in sich. Das Geschlecht wird fortbestehen. Kann man also einen alten Mann nicht in Frieden sterben lassen?«
»Edel wird nicht erlauben, dass dieser Erbe zur Welt kommt«, sagte ich schroff. Selbst der Narr stutzte, als er mich so offen sprechen hörte. »Dieses Kind wird nie an die Macht gelangen, wenn nicht die Hand eines rechtmäßigen Königs es beschirmt, sei es nun Listenreich oder Ve ritas. Du glaubst nicht daran, dass Veritas
tot ist, du hast es so gut wie aus gesprochen. Wie kannst du dann zusehen, in welcher Weise Kettricken sich grämt? Wie kannst du dem blutigen Untergang der Sechs Provinzen ruhig zusehen? Was nützt dem Thron der Weitseher ein Erbe, wenn er nur noch ein zerbrochener Stuhl in einer ausgebrannten Halle ist?«
Die Schultern des Narren sanken herab. »Es gibt tausend Scheidewege«, wisperte er. »Man che sind klar und deut lich zu erkennen, andere sind Schatten innerhalb von Schatten. Manche sind fast Gewissheit, nur eine gewaltige Armee oder verheerende Seuche könnte ihnen eine andere Richtung geben. Andere wiederum sind in Nebel ge hüllt, und ich weiß nicht, wel che Pfade hi nausführen oder wohin. Du bist der Nebel vor meinen Augen, Bastard. Du vervielfältigst
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