Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
heute Abend, lass dich nicht täuschen. Was er zweimal zu dir gesagt hat, musst du wertschätzen und pünktlich ausführen, denn es bedeutet, er hat es sich doppelt so fest eingeprägt, um sicher zu sein, dass er es nicht vergisst.«
Ich nickte und nahm mir vor, noch an diesem Abend Ve ritas die Schriftrolle zu überbringen. »Dieser neue Kammerdiener, Wallace, gefällt mir nicht«, merkte ich dann gegenüber dem Narren an.
»Freund Breit arsch gefällt dir nicht? Aber er ist ge fällig, Fitz, überaus gefällig. Hat immer seine Lauscher an der Wand und ist damit Edel ein Wohlgefallen.« Mit küh nem Schwung setzte er das Tablett auf sei ne flache Hand, hob es hoch über den Kopf und hüpfte die Treppe hinunter. Mich überließ er meinen Gedanken.
Ich überbrachte die Schriftrolle noch am gleichen Abend, und an den darauffolgenden Tagen widmete ich mich der Erfüllung des Auftrags, den Veritas mir gegeben hatte. Fette Wurst und Räucherfisch dienten mir als Köder für das Gift, klei ne Bündel, die ich auf der Flucht verlieren konnte, in der Hoffnung, die tödliche Menge für meine Verfolger ausreichend bemessen zu haben. Jeden Morgen studierte ich Veritas’ Karte, sattelte Rußflocke und ritt mit meinen todbringenden Giftbündeln dorthin, wo die größte Wahrscheinlichkeit bestand, auf Entfremdete zu treffen. Ein gebranntes Kind scheut Feuer - des halb trug ich auf mei nen Expeditionen ein kurzes Schwert, wo rüber sich Flink und Bur rich herzhaft lustig machten. Ich behauptete, dass ich versuchte, Wild aufzuspüren, für den Fall, dass Veritas eine Winterjagd veranstalten wollte.
Flink sah kei nen Grund, an der Geschichte zu zwei feln. Aber Burrichs zusammengepresste Lippen verrieten mir, dass er meine Lüge durchschaute. Er be griff jedoch, dass ich ihm nicht die Wahrheit sagen konnte. Er verzichtete darauf, weiter bei mir nachzufragen, doch die Sache gefiel ihm nicht.
Zweimal in zehn Tagen wurde ich von Entfremdeten angegriffen, beide Male konnte ich ih nen mühelos entfliehen und ›verlor‹ dabei den vergifteten Proviant aus meinen Satteltaschen. Sie nahmen sich kaum die Zeit, den In halt auszuwickeln, bevor sie sich Wurst und Fisch in den Mund stopften. Jedes Mal kehrte ich am nächsten Tag an den Tatort zurück, um für Ve ritas zu dokumentieren, wie viele Tote es waren und wie sie aussahen. Die getöteten Entfremdeten meiner zweiten Aktion passten nicht zu unseren bisherigen Beschreibungen, woraus wir folgerten, dass es mehr Entfremdete gab als uns bekannt war.
Ich tat mei ne Arbeit, aber stolz war ich nicht da rauf. Tot wirkten die Opfer der Roten Korsaren noch erbarmungswürdiger als lebendig - zerlumpte, ausgemergelte Kreaturen, halb erfroren und gezeichnet von den Kämpfen untereinander. Ihr Anblick wirkte nach ihrem Todeskampf infolge der schnell wirkenden, radikalen Gifte, die ich benutzte, grotesk: Ihre verkrümmten Körper wurden zu Zerrbildern menschlicher Gestalten. Reif glitzerte in ihren Bärten und Augenbrauen, und das Blut aus ihren Mündern war im weißen Schnee wie zu ge frorenen Rubinen erstarrt. Auf diese Weise tötete ich sieben Entfremdete. Dann häufte ich Kiefernholz auf ihre Leichen, goss Öl da rüber und setzte den Scheiterhaufen in Brand. Ich kann nicht sagen, was mich mehr anwiderte, die Tat selbst oder die Beseitigung der Spuren. Cub hatte anfänglich darum gebettelt, mitkommen zu dürfen, als er merkte, dass ich jeden Morgen nach der Fütterung fortritt. Doch bei einer Gelegenheit, als ich mich über die steif gefrorenen Leiber meiner Opfer beugte,
vernahm ich deut lich: Das ist kein Jagen. Das ist nicht das Werk eines Rudels, das ist Menschenwerk. Doch er hatte sich aus meinem Kopf zurückgezogen, bevor ich ihm Vorwürfe machen konnte, dass er wieder ungebeten in mein Bewusstsein eingedrungen war.
An den Abenden kehrte ich jeweils in die Burg zu rück, um mich bei einer warmen Mahlzeit und knisterndem Feuer, trockenen Kleidern und einem weichen Bett zu stärken, aber die Geister der Ent fremdeten standen zwischen mir und diesen An nehmlichkeiten. Ich kam mir vor wie eine kal te erbarmungslose Bestie, weil ich dazu fähig war, nach meinem grausigen Tagewerk all diese Dinge zu ge nießen. Mein einziger Trost war, dass ich nachts im Schlaf von Molly träumte, wie ich mit ihr spazieren ging und plauderte, ohne an die Entfremdeten oder deren reifbedeckten Leichen erinnert zu werden. Doch auch dies war nicht ganz frei von Gewissensbissen.
Eines Tages brach ich später auf
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