Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
aufrichtig zu sein wie mög lich. »Ich kann dir nicht sagen, was geschehen ist. Nur dass ich Grund hatte zu glauben, du könntest in Gefahr sein. Du musst mir vertrauen …«
»Das meinte ich nicht. Was soll das heißen, Liebste eines Bastards? Wie kannst du es wagen, mich so zu nennen?« Aus ihren Augen schossen buchstäblich die Blitze.
Ich schwöre, dass ich die eisige Hand des Todes nach mei nem Herzen greifen fühl te. »Es ist wahr, ich habe kein Recht dazu«, sagte ich stockend, »aber ich kann nichts für meine Gefühle. Und ob ich dich zu Recht meine Liebste nennen darf oder nicht, wird diejenigen, die mir übel wollen, nicht daran hindern, dir etwas anzutun, um mich zu treffen. Wie kann ich sagen, ich liebe dich
so sehr, während ich mir eigentlich wünschen müsste, ich liebte dich nicht, oder könn te ich doch we nigstens aufhören zu zeigen, dass ich dich liebe, weil all meine Liebe dich in tödliche Gefahr bringt - und spräche trotzdem die Wahrheit?« Steif wandte ich mich zum Gehen.
»Und wie könnte ich sagen, ich wäre aus deinem Gerede klug geworden und spräche trotzdem die Wahrheit?«, wunderte Molly sich stirnrunzelnd.
Ihre Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton. Ich drehte mich langsam zu ihr he rum. Einen Moment lang standen wir uns stumm gegenüber, dann brach sie in Gelächter aus, kam lachend auf mich zu, schloss mich in die Arme und sah mir in das gekränkte Gesicht. »Ach, Neuer, du gehst verschlungene Wege, um mir deine Liebe zu gestehen. Zuerst in meine Kammer einbrechen, und dann da stehen und lange Reden halten. Warum konntest du nicht einfach sagen ›Ich liebe dich‹ und das viel, viel früher?«
Ich war von ih rer Umarmung wie überrumpelt und sah auf sie hinunter. In mei nem Kopf ging in diesem Augenblick alles durcheinander, und benommen suchte ich Halt in der ba nalen Erkenntnis, dass ich inzwischen ein gutes Stück größer war als sie.
»Nun?«
»Ich liebe dich, Molly.« So leicht war es auszusprechen. Und was für eine Erleichterung, es ausgesprochen zu haben. Langsam und zaghaft legte ich die Arme um sie.
Sie blickte mir lächelnd in die Augen. »Und ich liebe dich.«
Endlich, endlich durfte ich sie küssen, und als unsere Lippen sich berührten, begann irgendwo in der verschneiten Wei te um Bocksburg ein Wolf zu heulen, und wie auf ein Zei chen fielen kläffend und bellend die Hunde mit ein. Ih rer aller Stimmen vermischten sich zu einem Chor von ursprünglicher Wildheit, dessen Klänge in den frostigen Nachthimmel emporstiegen.
KAPITEL 9
WÄCHTER UND BINDUNGEN
Z u einem großen Teil bejahte und unterstützte ich Fedwrens größten Traum. Ginge es nach ihm, wäre Papier so alltäglich wie Brot, und jedes Kind hätte noch vor seinem dreizehnten Lebensjahr nicht nur essen, sondern auch schreiben gelernt. Doch selbst wenn sich dieser Traum verwirklichen ließe, bezweifle ich, dass seine Erwartungen in jeder Beziehung erfüllt würden. Er beklagt all das Wissen, das beim Tode auch des einfachsten und bescheidensten Menschen mit diesem ins Grab sinkt. Er spricht von einer Zukunft, in der die Methode eines Hufschmieds, ein Eisen anzupassen, oder das Geschick eines Schifszimmermanns in der Handhabung des Schlicht hobels mit Feder und Tinte auf Papier beschrieben und festgehalten werden, damit jeder, der lesen kann, die Möglichkeit hat, diese Dinge ebenfalls zu lernen. Ich halte nichts davon. Das geschriebene Wort vermittelt Wissen und Kenntnisse, doch manche Fertigkeiten lernt man erst mit der Hand und dem Herzen und später mit dem Kopf. Daran glaube ich fest, zumal ich damals genau beobachtet habe, wie der Schifsbauer Mastfisch das fischförmige Bauteil, nach dem er heißt, in das erste von Veritas’ Schifen einpasste. Er hatte das fertige Stück vor seinem inneren Auge gesehen und mit seinen Händen die Form geschafen, von der sein Herz ihm sagte: >So muss es sein<. Dergleichen kann man nicht aus Schriften lernen. Vielleicht
kann man es überhaupt nicht lernen, sondern es ist, wie die Gabe oder die Alte Macht, ein Erbteil unserer Ahnen.
Ich kehrte in mein eigenes Gemach zurück, setzte mich vor den fast erloschenen Kamin und wartete darauf, dass die Burg zum Leben erwachte. Im Grunde hätte ich tod müde sein müssen, doch ich zitterte beinahe vor innerer Erregung. Ich bildete mir ein, wenn ich ganz still dasäße, könnte ich immer noch die Wärme von Mollys Umarmung spüren. Ich erinnerte mich noch genau an die Stelle, wo ihre Wange die meine
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