Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Boxentür, griff nach seinem Stallhalfter und führte ihn hinaus. Das Mädchen war spurlos verschwunden, auch hörte ich sie nicht mehr rufen.
Pfeil war ein hochgewachsenes, stattliches Tier und nicht daran gewöhnt, ohne Sattel geritten zu werden, und so buckelte er ein wenig, als ich mich auf seinen glatten Rücken zog. Trotz der Gefahr, in der ich mich befand, bereitete es mir eine verwegene Freude, wieder auf einem Pferd zu sitzen. Ich griff in seine Mähne und trieb ihn mit den Knien die Stallgasse entlang. Er tat drei Schritte, dann blieb er vor dem Mann stehen, der sich uns in den Weg stellte. Ich blickte hinunter in Flinks ungläubiges Gesicht. Sein völlig entsetzter Gesichtsausdruck nötigte mir nur ein Lächeln ab.
»Ich bin’s nur, Flink. Leider muss ich mir ein Pferd ausborgen, sonst töten sie mich. Wieder einmal.«
Irgendwie glaubte ich wohl, er würde lachen und mich passieren lassen, doch er starrte mich nur an und wurde blasser und blasser, als sei ihm das leibhaftige Grauen begegnet.
»Ich bin es, Fitz. Ich bin nicht tot. Flink, lass mich durch!«
Er trat zurück. »Gütige Eda!«, stieß er hervor, und noch immer dachte ich, er würde den Kopf in den Nacken werfen und lachen, jedoch stattdessen zischte er: »Die Alte Macht!« Dann warf er sich herum und stürmte aus dem Stalltor und rief: »Wache! Wache!«
Ich vergeudete einige Augenblicke damit, ihm hinterherzustarren. Ich spürte einen Schmerz in meinem Innern, beinahe so wie damals, als Molly mich verlassen hatte. Die Jahre der Freundschaft, die lange Zeit der gemeinsamen Plackerei im Stall, Seite an Seite, tagaus, tagein - alles wirkte wie ausgelöscht von einem einzigen Augenblick abergläubischen Schreckens. Mochte es auch ungerecht sein, ich fühlte mich zutiefst verletzt von seinem Verrat. Mich erfasste kurz eine eisige Kälte, doch dann stieß ich Pfeil die Fersen in die Weichen, und er trug mich weit in die Dunkelheit hinaus.
Das von Burrich zugerittene Tier vertraute mir. Wir mieden die von Fackeln beleuchtete Zufahrt und die offenen Pfade. Stattdessen galoppierten wir ohne Rücksicht auf Verluste durch Blumenbeete und Rabatten, bevor wir an einem Trupp Soldaten vorbei durch eines der Seitentore aus dem Schloss donnerten. Sie hatten den Zugang zwar im Auge behalten, aber Pfeil und ich tauchten so plötzlich aus der Nacht auf und waren so schnell wieder verschwunden, dass sie nicht wussten, wie ihnen geschah. Wie ich Edel kannte, würde er ihnen morgen für ihre Nachlässigkeit den Rücken auspeitschen lassen.
Auch außerhalb des Schlosses nahmen wir unseren eigenen Weg und flüchteten unter dem Lärm der Verfolger über die Parkanlagen. Für ein konventionell trainiertes Pferd reagierte Pfeil sehr gut auf die Befehle, die ich ihm mit den Knien und durch Gewichtsverlagerung gab. So brachte ich ihn dazu, durch eine hohe Hecke hin zur Straße zu brechen. Damit ließen wir die königlichen Gärten hinter uns, jagten über noch beleuchtete, kopfsteingepflasterte Straßen vorbei am besseren Viertel der Stadt und dann mit donnerndem Hufschlag vorüber an gastlichen und hell erleuchteten Wirtshäusern. Zu dieser späten Stunde waren kaum Menschen unterwegs. Nichts und niemand hielt uns auf.
Als wir die einfacheren Viertel Fierants erreichten, ließ ich Pfeil langsamer gehen. In den verwinkelten Gassen brannten nur wenige Fackeln, einige waren bereits erloschen. Ungeachtet dessen trug mich Pfeil, der meine Eile zu spüren schien, in schnellem Trab weiter. Einmal hörte ich den heftigen Hufschlag eines anderen Pferdes und glaubte das Spiel bereits verloren; aber dann war es ein entgegenkommender Kurier, der uns keinerlei Beachtung schenkte. So trieb ich Pfeil durch die schlafende Stadt weiter und weiter an, stets in der Angst, die Verfolger hinter uns zu hören.
Ich hoffte schon, wir wären entkommen, als ich erkannte, welche Schrecken diese Nacht noch bereithielt. Wir kamen nämlich an einen Ort, der einstmals der Große Markt von Fierant gewesen war. Auf diesem genauso riesigen, prachtvollen wie offenen Platz hatten wohl früher viele Menschen Waren aus aller Herren Länder bestaunt.
Doch dieser Ort war zum Richtplatz von Edels Perversitäten verkommen. Als ich über den Platz ritt, schnaubte Pfeil bei dem Geruch des Blutes auf den Pflastersteinen unter seinen Hufen. Der Galgen und die Pranger standen noch da, so wie sie mit den ganzen anderen schrecklichen Folterwerkzeugen den Zuschauern zuliebe an erhöhter Stelle neu errichtet
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