Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
zu ihrem Revier erkoren und machte diesen Ort in Farrow mit den Balladen von Bock bekannt.
Ich zog es vor, draußen bei den Schafen zu bleiben. Bald war ich der einzige im Lager, aber das störte mich nicht. Die Besitzerin der Pferde hatte mir einen Groschen Lohn versprochen, wenn ich ein Auge auf die Tiere hatte. Es war kaum nötig. Eine Vorderbeinfessel hinderte sie am Weglaufen, und ohnehin zeigte keines der Tiere Neigung, einen Ort zu verlassen, an dem es viel Wasser und eine Weide gab. Der Bulle war ein Stück weiter weg angepflockt und nutzte ebenfalls den ihm gewährten Spielraum, um zu grasen. Es war friedlich, so ganz allein. Ich hatte inzwischen gelernt, meinen Geist in eine meditative Leere zu versetzen und konnte inzwischen lange Wegstrecken zurücklegen, ohne an etwas Bestimmtes zu denken. Dadurch wurde mein endloses Warten erträglicher. So saß ich auf der Deichsel von Damons Karren und starrte über die Tiere hinweg auf die sanft gewellte, von Buschwerk unterbrochene Ebene hinter ihnen.
Der Friede währte nicht lange. Am späten Nachmittag kam der Gauklerwagen ins Lager gerattert. Er brachte nur Maestro Dell und seinen jüngsten Lehrling, ein Mädchen, zurück. Die anderen waren im Dorf geblieben, um zu trinken und sich einen vergnügten Abend zu machen. Aus des Maestros Geschimpfe war leicht herauszuhören, dass das Mädchen ihm und seiner Truppe mit vergessenen Versen und falschen Bewegungen Schande gemacht hatte. Zur Strafe sollte sie im Lager bei dem Wagen bleiben, dazu verpasste er ihr ein paar scharfe Hiebe mit dem Riemen. Sowohl das Klatschen des Leders als auch das Klagegeschrei des Mädchens waren durch das ganze Lager zu hören. Beim zweiten Hieb zuckte ich zusammen, beim dritten sprang ich auf. Ich muss zugeben, dass ich keine Vorstellung davon hatte, was ich tun sollte, und erleichtert war, den Maestro hinter dem Wagen hervor und zurück in den Ort gehen zu sehen. Bitterlich weinend, machte das Mädchen sich daran, die Pferde auszuschirren und anzupflocken. Ich hatte sie schon vorher flüchtig bemerkt. Sie war das jüngste Mitglied der Truppe, nicht älter als sechzehn, und bekam am häufigsten den Riemen zu spüren. Nicht, dass dies etwa ungewöhnlich gewesen wäre. Jeder Meister brauchte den Riemen, um seine Lehrlinge zur Arbeit zu ermuntern. Zwar hatten bei meiner Ausbildung weder Burrich noch Chade zu diesem Mittel gegriffen; aber mir war doch einiges an Knüffen und Püffen zuteilgeworden, und gelegentlich hatte mir Burrich auch mit einem Tritt auf die Sprünge geholfen. Der Maestro war nicht schlimmer als viele Meister, die ich gesehen hatte und fürsorglicher als manch andere. Seine Leute waren gut genährt und gut gekleidet. Ich nehme an, was mich an ihm störte, war seine Angewohnheit, sich nie mit einem Hieb zufriedenzugeben. Es mussten immer drei oder fünf sein oder noch mehr, wenn er schlechte Laune hatte.
Meine innere Ruhe war dahin. Noch lange nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig war, zerriss das laute Schluchzen des Mädchens die Stille. Nach einer Weile konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich ging zum hinteren Ende des Gauklerwagens und klopfte an die kleine Tür. Mit einem Schniefen brach das Weinen ab. »Wer ist da?«, fragte das Mädchen heiser.
»Tom, der Schafhirte. Alles in Ordnung mit dir?«
Ich hoffte, sie würde ›ja‹ sagen, und mich wegschicken; doch nach nur wenigen Momenten öffnete sich die Tür, und sie schaute zu mir hinaus. Blut tropfte von ihrem Kinn. Ich sah auf einen Blick, was geschehen war. Das Ende des Riemens hatte sich an ihrer Schulter vorbei über ihre Wange gezogen. Bestimmt tat die Wunde weh, aber ich vermutete, das viele Blut machte ihr noch mehr Angst. Hinter ihr sah ich auf einem Tisch einen Spiegel liegen und daneben einen blutigen Lappen. Einen Augenblick lang schauten wir uns wortlos an, dann stieß sie schluchzend hervor: »Er hat mein Gesicht entstellt.«
Mir fiel nichts dazu ein; also stieg ich die drei Stufen zum Wagen hinauf, nahm sie bei den Schultern und drückte sie auf einen Stuhl. Sie hatte tatsächlich einen trockenen Lappen benutzt, um an ihrer Wange herumzuwischen. Hatte sie keinen Verstand? »Sitz still«, befahl ich ihr streng. »Und beruhige dich.«
Ich machte das Tuch nass, wrang es aus und tupfte ihr das Blut ab. Wie vermutet, war der Schnitt nicht tief, doch er blutete heftig, wie es bei Verletzungen im Gesicht oder am Kopf häufig der Fall ist. Ich faltete das Tuch zu einem Viereck und drückte es gegen ihre
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