Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Entfernung sehen. Der Boden enthielt mehr Feuchtigkeit, und die kärgliche Steppe wurde verdrängt von Büschen und Bäumen. Bald wanderte ich an Obsthainen vorbei, an Weiden, auf denen Milchkühe grasten und an Hühnern, die am Wegrand im Staub scharrten. Endlich erreichte ich die Stadt, die sich mit dem See den Namen teilte.
Hinter dem See erstreckte sich erneut eine weite Ebene bis zu den Bergausläufern, hinter denen das Bergreich begann. Und jenseits des Bergreichs musste sich dann irgendwo Veritas befinden.
Mich entmutigte dabei der Gedanke, wie lange ich hierher zu Fuß gebraucht hatte verglichen mit dem ersten Mal, als ich mit einer Hochzeitskarawane nach Jhaampe gereist war, um Kettricken als Veritas’ Braut heimzuholen. An der Küste war der Sommer bereits zu Ende, und die ersten Winterstürme tobten bereits wieder. Auch hier würde es nicht mehr lange dauern, bis der Winter das Landesinnere in seinem kalten Griff erstarren ließ, während im Gebirge auf den höheren Gipfeln wahrscheinlich schon jetzt Schnee fiel. Ich musste mich also darauf einrichten, im tiefen Winter nach Jhaampe zu wandern; gar nicht zu denken an den Zustand der Gebirgspässe, die ich auf der Suche nach Veritas in den Ländern jenseits des Bergreichs überqueren musste. Ich wusste nicht einmal, ob er noch lebte; er hatte viel Kraft verbraucht, als er mir geholfen hatte, Edel zu entkommen. Doch ich hörte nach wie vor das Komm zu mir, komm zu mir im Schlag meines Herzens, und das war der Takt, nach dem ich marschierte. Ich würde Veritas finden oder seine Gebeine, andernfalls konnte ich nicht hoffen, je wieder ganz mir selbst zu gehören.
Die Stadt Blauer See erscheint wegen ihrer flächenmäßigen Ausdehnung größer als sie ist. Ich sah wenige Gebäude mit mehr als einem Stockwerk; meistens waren es niedrige, langgestreckte Häuser, an die je nach Bedarf weitere Flügel angebaut wurden, wenn Söhne oder Töchter heirateten und man Platz für die neue Familie brauchte. Am gegenüberliegenden Ufer gab es Wälder, die Bauholz lieferten; auf dieser Seite aber waren die Behausungen der ärmeren Leute aus Lehmziegeln errichtet und die der alteingesessenen Kaufleute und Fischer aus Zedernholz und Schindeldächern. Die meisten Häuser hatten einen weißen, grauen oder hellblauen Anstrich, wodurch sie noch größer wirkten. Viele besaßen Glasfenster mit dicken Butzenscheiben.
Die Viertel am Seeufer wirkten heimisch auf mich und doch wieder fremd. Man hatte hier nicht mit Ebbe und Flut zu tun, sondern nur mit den hochgehenden Wellen bei Sturm, deshalb baute man auf Pfählen weit in den See hinaus. Manche Fischer konnten ihr Boot buchstäblich an der eigenen Türschwelle festmachen; andere wiederum lieferten ihren Fang an einer Hintertür ab, und der Händler verkaufte ihn nach vorne hinaus. Ich fand es seltsam, am Gestade der weiten Wasserfläche zu stehen, ohne dass die Luft nach Salz und Jod schmeckte. Stattdessen wehte von diesem Süßwassersee ein grüner, moosiger Geruch heran. Die Möwen sahen ebenfalls anders aus. Sie hatten schwarze Flügelspitzen, waren aber ebenso gierig und räuberisch wie ihre Artgenossen an der Küste. Für meinen Geschmack gab es viel zu viele Soldaten in der Stadt. In ihren braun-goldenen Waffenröcken patrouillierten sie durch die Straßen und wirkten wie in Uniform gezwängte Raubkatzen. Ich vermied es, ihrem Blick zu begegnen, und gab ihnen keinen Anlass, auf mich aufmerksam zu werden.
An Geld besaß ich fünfzehn Kurante in Silber und zwölf Kupfergroschen - das war die Summe aus meiner Barschaft plus dem, was Kujon in seinem Beutel gehabt hatte. Einige der Münzen sahen fremdländisch aus, doch ihr Gewicht in meiner Hand wirkte beruhigend. Wahrscheinlich würde man sie annehmen. Sie waren alles, was ich hatte, um mir den Weg bis zum Fuß der Berge zu ebnen und alles, was ich je zu Molly nach Hause bringen würde. Daher waren sie mir doppelt wertvoll, und ich hatte nicht vor, mehr auszugeben als unbedingt nötig. Doch andererseits war ich nicht so töricht, etwa ohne Proviant und warme Kleidung in die winterlichen Berge aufbrechen zu wollen. Etwas von meinem kleinen Vermögen musste ich opfern; aber ich hoffte, mir die Überfahrt über den See erarbeiten und mich vielleicht auch für den Rest des Wegs bei irgendwem verdingen zu können.
In jeder Stadt gibt es ärmere Viertel und Tandlereien oder Karren, wo Leute mit den ausrangierten Gütern anderer Handel treiben. Ich wanderte herum, immer am Kai
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