Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
wolltest gestern schon zurück sein.«
»Ich weiß. Es tut mir leid. Ich hatte es vor, aber...«
»Aber du bist im Dorf geblieben und hast dich betrunken.«
»Ja - ja. Ich habe mich betrunken.« Burrich schloss die Tür und trat in den Raum. Sein Umhang war tropfnass wie auch sein Haar, als hätte er sich nicht die Mühe gemacht, auf dem Heimweg die Kapuze über den Kopf zu ziehen. Er stellte sein geschnürtes Bündel neben die Tür, nahm den nassen Umhang ab und sank schwerfällig auf einen Stuhl am Feuer. Offenbar machte das Wetter ihm zu schaffen, denn er beugte sich vor und rieb sein schlimmes Knie.
»Ich will dich nicht hier haben, wenn du getrunken hast«, erklärte Molly schroff.
»Das weiß ich. Ich war gestern betrunken. Heute Morgen hatte ich einen kleinen Schluck, aber ich bin nicht betrunken. Nicht mehr. Jetzt bin ich einfach nur... müde. Sehr müde.« Er stützte den Kopf in die Hände.
»Sieh dich an.« Mollys Stimme klang schneidend. »Du kannst nicht einmal aufrecht sitzen, und ich soll dir glauben, dass du nüchtern bist!«
Burrich schaute resigniert zu ihr auf. »Schon gut«, gab er nach. Der Burrich, den ich kannte, wäre in einem solchen Augenblick aufgebraust. »Ich werde gehen.« Mit einem Seufzen erhob er sich und verzog vor Schmerzen das Gesicht, als er humpelnd den ersten Schritt tat. Molly bekam ein schlechtes Gewissen. Er war bestimmt durchgefroren, und der Schuppen, in dem er nachts schlief, war feucht und zugig. Doch er hatte es sich selbst zuzuschreiben. Er wusste, wie Molly über Trinker dachte. Wenn ein Mann ein, zwei Becher trank, gut, auch sie gönnte sich ab und zu ein Glas, aber betrunken nach Hause kommen und ihr weismachen wollen...
»Kann ich die Kleine für einen Augenblick sehen?«, fragte Burrich leise. Er war an der Tür stehen geblieben. Ich las etwas in seinen Augen, etwas, das Molly nicht zu sehen vermochte, weil sie ihn nicht gut genug kannte, und es traf mich bis ins Mark. Er trauerte.
»Ich habe sie gerade erst hingelegt. Sie wollte lange nicht einschlafen.«
»Kann ich sie aufnehmen, nur für eine Weile?«
»Nein. Du hast getrunken, und du bist kalt. Wenn du sie anfasst, wird sie aufwachen, das weißt du. Weshalb willst du das also tun?«
Burrichs Gesicht verfiel von einer Sekunde zur anderen. Seine Stimme klang rau, als er sagte: »Weil Fitz tot ist, und sie ist alles, was ich von ihm oder von seinem Vater noch habe. Und manchmal ...« Er rieb sich mit der Hand über Stirn und Augen. »Manchmal kommt es mir vor, als wäre alles meine Schuld.« Und sehr leise sprach er weiter: »Ich hätte nie zulassen dürfen, dass sie ihn mir wegnehmen, als er noch ein Junge war. Wenn ich ihn hinter mich auf ein Pferd gesetzt hätte und zu Chivalric geritten wäre... Vielleicht könnten sie beide dann noch leben. Fast hätte ich es getan. Er wollte nicht weg von mir, weißt du, ich musste ihn überreden. Fast hätte ich ihn stattdessen zu Chivalric gebracht. Aber dann tat ich es doch nicht. Ich habe ihnen den Jungen überlassen, und sie haben ihn benutzt.«
Ich spürte, wie Molly innerlich erzitterte. Ihre Augen brannten, aber sie gestattete sich nicht zu weinen, sondern verteidigte sich wütend. »Was redest du, er ist seit Monaten tot! Versuch nicht, durch Säufertränen mein Mitleid zu erregen.«
»Ich weiß«, sagte Burrich. »Keiner weiß es besser als ich. Er ist tot.« Er holte tief Atem und straffte sich in der ihm eigenen Art, die ich so gut kannte. Ich sah, wie er seinen Schmerz und seine Schwäche verdrängte, um sie wieder an einem geheimen Ort tief in seinem Innern zu verbergen. Am liebsten hätte ich die Hand nach ihm ausgestreckt, um sie ihm tröstend auf die Schulter zu legen, aber das war mein Impuls, nicht Mollys. Er griff nach der Klinke, dann schien ihm noch etwas einzufallen. »Ich habe da noch etwas für dich...« Er nestelte an seinem Hemd. »Das hat ihm gehört. Ich... habe es ihm abgenommen, als er tot war. Du sollst es für sie aufheben, damit sie etwas von ihrem Vater hat. Er bekam es von König Listenreich.«
Mir brach es fast das Herz, als ich Burrich die flache Hand ausstrecken sah. Da lag meine Anstecknadel, der in Silber gefasste Rubin. Molly starrte auf das Schmuckstück, ohne etwas zu sagen. Ihre Lippen formten einen schmalen Strich - ob nun aus Zorn oder in unerbittlicher Selbstbeherrschung. Sie hatte ihre Gefühle so tief in sich verschlossen, dass sie selbst nicht mehr wusste, wovor sie sich versteckte. Als sie keine Anstalten
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