Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
zuteilgewordene Auszeichnung zeigte. Einerseits bedeutete es natürlich einen unschätzbaren Gewinn für den Ruf seines Hauses, andererseits hatte man ihm gegenüber kein einziges Wort über eine Entschädigung verlauten lassen. Man überreichte ihm lediglich eine stattliche Liste von Speisen und Getränken, von denen Seine Majestät erwartete, dass sie zur Verfügung standen.
Ich zog meine neuen Winterkleider an, setzte die Wollmütze auf und machte mich auf den Weg. Das fragliche Gasthaus war leicht zu finden. Kein anderes in Blauer See war drei Stockwerke hoch oder konnte sich so vieler Balkone und Fenster rühmen. Vor dem Eingang drängten sich die örtlichen Honorablen, um Edel ihre Aufwartung zu machen; mancher Baron oder Freiherr hatte das aufgeputzte Töchterlein im Schlepptau. Sie standen dicht an dicht mit Spielleuten und Gauklern, die den hohen Herren mit ihren Künsten die Zeit vertreiben wollten, und Kaufleuten, die Proben ihrer ausgesuchtesten Waren als Geschenk brachten sowie anderen, die Fleisch, Bier, Wein, Brot, Käse und eine Vielzahl sonstiger Esswaren und Delikatessen lieferten. Ich machte nicht den Versuch, ins Haus zu kommen, sondern ich hörte mir nur an, was die sich erzählten, die herauskamen: Der Schankraum sei überfüllt von einem Haufen grobschlächtiger Soldaten, die über das Bier und die Huren schimpften, als wären sie in Fierant Besseres gewöhnt. Und König Edel werde heute nicht Hof halten, nein. Er fühle sich elend nach der anstrengenden Reise und habe bereits nach der besten Auslese von Heitergras verlangt, um sich zu erfrischen. Ja, abends solle es ein Gastmahl geben, ein schwelgerisches Gelage, mein Bester, zu dem nur die Vornehmsten geladen waren. Und habt ihr ihn gesehen, den mit dem toten Fischauge, huh, da ist es mir kalt den Rücken hinuntergelaufen. Wäre ich der König, ich würde mir einen anderen Ratgeber suchen, gabenkundig oder nicht. Diese und andere Gesprächsfetzen konnte ich an Vorder und Hintereingang aufschnappen. Ich merkte mir alles, so wie ich mir auch genau einprägte, an welchen Fenstern bei hellstem Tageslicht die Vorhänge zugezogen waren. Ausruhen wollte er? Dabei konnte ich ihm behilflich sein.
Doch ganz so einfach war es nicht. Vor wenigen Wochen hätte ich mir einfach auf irgendeine Weise Zutritt zu Edels Gemächern verschafft, ihm den Dolch ins Herz gestoßen und keinen weiteren Gedanken an die Folgen verschwendet. Nun aber hallte nicht nur Veritas’ Gabenbefehl in mir wider, sondern da warteten auch noch Frau und Kind auf mich. Ich hatte die Verpflichtung, mein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Ich brauchte einen Plan.
Bei Anbruch der Nacht schlich ich mich auf das Dach des Gasthauses. Edel hatte mir mit der Wahl seiner Unterkunft unwissentlich einen Gefallen getan. Weil das Gebäude alle anderen ringsum überragte, konnte mich niemand zufällig von oben entdecken. Man musste schon nach mir suchen. Dennoch wartete ich, bis es völlig dunkel war, bevor ich zur Traufe hinunter halb kletterte, halb rutschte. Das Dach war steil und von einer dünnen Eisschicht überzogen. Nachdem mein Herzschlag sich beruhigt hatte, prüfte ich die Gegebenheiten. Das Dach hatte an dieser Stelle zum Schutz des darunter befindlichen Balkons einen weiten Vorsprung. Ich musste mich also über die Kante hinausrutschen lassen, dann schnell die Traufe fassen und mich mit den Beinen voraus auf den Balkon hineinschwingen. Wenn ich darin scheiterte, drohte mir ein drei Stockwerke tiefer Sturz auf die Straße oder auf das mit lanzenähnlichen Spitzen verzierte schmiedeeiserne Balkongeländer.
Ich hatte mich gut vorbereitet. Ich wusste, welche Fenster zu Edels Schlafgemach, welche zu seinem Wohnraum gehörten, und um welche Stunde er mit seinen Gästen beim Mahl sitzen würde. Ich hatte mir außerdem an etlichen Gebäuden in Blauer See die Riegel an Türen und Fenstern genau angeschaut und nichts gefunden, womit ich nicht fertigwerden konnte. Ich hatte mir einiges Werkzeug besorgt sowie ein dünnes Seil, das mir nach vollbrachter Tat die schnelle Flucht ermöglichen sollte. Ich würde kommen und gehen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Meine Gifte hatte ich in der Gürteltasche verwahrt.
Zwei aus einer Schusterwerkstatt entwendete Pfrieme dienten mir als Haltegriffe. Ich bohrte sie nicht in die zähen Schindeln, sondern in die Ritzen dazwischen, so dass sie am oberen Rand der darunterliegenden Schindelreihe klemmten. Der schlimmste Augenblick kam, als ich dann
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