Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
wühlte er kurz am Eingang der Höhle, steckte die Nase in den freigelegten Gang, um nachzuprüfen, ob es noch etwas zu holen gab, trottete dann aber schnell weiter.
Während ich ihm gemächlich folgte, hielt ich den Blick auf den Fluss gerichtet. Je mehr ich von ihm sah, desto bedrohlicher erschien er mir. Wie tief er war und wie stark die Strömung, ließ sich an den mächtigen Stämmen ermessen, die von den schäumenden Wellen vorbeigetragen wurden. Ich fragte mich, ob der Sturm weiter oben so viel heftiger getobt hatte, um solche Riesen zu entwurzeln, oder ob sie einfach dem hinterhältigen Zerstörungswerk des Wassers zum Opfer gefallen waren, das ihr Fundament unterhöhlt hatte, bis sie in den Fluss gestürzt waren?
Nachtauge lief immer in einiger Entfernung vor mir her. Er fing noch zwei weitere von den kleinen Nagern. Ich konnte nicht sagen, um was für Tiere es sich handelte; sie sahen etwas anders aus als Ratten, und das glatte Fell schien darauf hinzudeuten, dass sie im Wasser zu Hause waren.
Fleisch muss nicht unbedingt einen Namen haben, belehrte Nachtauge mich pragmatisch, worauf ich ihm beipflichten musste. Er schleuderte seine Beute jedes Mal spielerisch in die Luft, fing sie auf, schüttelte sie wild hin und her, warf sie erneut in die Höhe, machte einen Satz und erhaschte sie mitten im Flug. Seine gute Laune war ansteckend, es war die Freude über die einfachen, aber grundlegenden Dinge des Lebens: eine erfolgreiche Jagd, Fleisch, um seinen Bauch zu füllen, und Zeit, um es dann auch ungestört zu vertilgen. Auf einmal flog der leblose Pelzknäuel über meinen Kopf hinweg. Ich sprang schnell hoch, fing ihn auf und warf ihn noch höher. Nachtauge hüpfte ihm auf den Hinterbeinen entgegen, schnappte ihn mit den Zähnen, kauerte sich hin und zeigte mir herausfordernd die Beute. Komm und hol sie dir!
Ich ließ das gesammelte Holz fallen und jagte ihm nach. Er wich mir mühelos aus, schlug einen Bogen und entschlüpfte meinen ausgestreckten Armen, als ich mich auf ihn warf.
»He!«
Wir hielten beide in unserem Spiel inne. Ich erhob mich langsam. Der Ruf kam von einem von Niks Männern, der oben auf der Böschung stand und zu uns herunterschaute. Er trug seinen Bogen in der Hand. »Du sollst Holz suchen, keinen Unfug treiben! Nun mach zu!«, befahl er. Ich schaute mich nach allen Seiten um, entdeckte jedoch keinen Grund für seine Aufregung. Trotzdem sammelte ich mein verstreutes Holz auf und kehrte gleich zu den Hütten zurück.
Krähe saß am Feuer und studierte eine Schriftrolle, ohne sich von denen stören zu lassen, die um sie herum etwas zu kochen versuchten. »Was liest du da?«, fragte ich sie.
»Die Schriften von Cabal dem Weißen. Einem Propheten und Seher, der in der Geschichte Kimoalas eine Rolle spielt.«
Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Die Namen sagten mir alle nichts.
»Durch seine Vermittlung kam ein Friedensschluss zustande, der einem hundert Jahre währenden Krieg ein Ende machte. Er bewirkte, dass aus drei Stämmen ein Volk wurde. Sie teilten ihr Wissen miteinander, wodurch unter anderem viele Nahrungsmittel, die einst nur in den südlichen Tälern Kimoalas gediehen, zum Gemeingut wurden. Ingwer, zum Beispiel, und Kimnüsse.«
»Ein einziger Mann hat das vollbracht?«
»Ein einziger Mann. Oder vielleicht auch zwei, wenn man den General mitzählt, der sich von Cabal überzeugen ließ, bei seinen Eroberungen nichts zu zerstören. Hier spricht er von ihm: ›Ein Catalyst war DarAles für seine Zeit, ein Wandler von Herzen und Leben. Er kam nicht, um ein Held zu sein, sondern um in anderen das Heldentum zu wecken. Er kam nicht, um Prophezeiungen zu erfüllen, sondern um die Tür in eine neue Zukunft aufzustoßen. Solches ist die Aufgabe des Wandlers und seine Bestimmung.‹ In einer Anmerkung zu den Schriften heißt es, dass es jedem von uns gegeben ist, in seiner Zeit der Wandler zu sein. Was meinst du dazu, Tom?«
»Ich bin lieber ein Schafhirte«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Catalyst« oder »Wandler« waren Worte, die ungute Erinnerungen in mir hervorriefen.
In dieser Nacht schlief ich an der Seite meines Wolfes. Nicht weit von uns schnarchte Krähe leise vor sich hin. Die Pilger lagen zusammengedrängt im hinteren Teil der Hütte. Merle hatte sich dafür entschieden, bei Nik und seinen Männern zu übernachten. Noch lange trug der Wind einige Liedfetzen und ihr verwehtes Harfenspiel an mein Ohr.
Ich schloss die Augen und versuchte von Molly zu träumen.
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