Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
der Herrscherfamilie und ihrer Getreuen, die sich ihnen aus freiem Entschluss auf Dauer angeschlossen haben, weisen keinerlei Ähnlichkeiten mit den bei uns üblichen Gebäuden auf. Die Chyurda wählen meist einen hohen, noch lebenden Baum zum Mittelpunkt eines ›Bauwerks‹. Dessen Stamm und Äste werden über Jahrzehnte hinweg mit viel Sorgfalt und Geschick dazu herangebildet, Stützpfeiler, Dach und Wände eines Gebäudes zu sein. Dieses lebende Gerüst wird dann schließlich mit mehreren Schichten Baumrindenbast überzogen und durch ein Holzgitter verstärkt. Das Gebäude erhält so die Form einer Tulpenknospe. Über die Bastbespannung kommt eine dicke Lehmschicht, die dann mit einem glänzenden, harzigen Lack in den kräftigen Farben bemalt wird, die das Bergvolk liebt. Manche Gebäude sind mit phantasievollen Gestalten oder Mustern verziert, aber die meisten gefallen durch ihre Schlichtheit. Rot- und Gelbtöne herrschen vor, und die Stadt leuchtet im Schatten der hohen Bäume wie ein Krokusfeld im Frühling.
In der Nachbarschaft dieser ›Gebäude‹ und an den Straßenkreuzungen dieser ›Nomadenstadt‹ liegen die Parks, von denen jeder für sich einzigartig ist. Mittelpunkt einer solchen Parkanlage kann ein ungewöhnlich geformter Baumstumpf sein oder ein Muster aus Steinen oder ein anmutig geschwungener Ast oder Stamm. Man findet in einem Park duftende Kräuter, in einem anderen dagegen ein Blumenmeer oder auch unterschiedlichste Pflanzen in bunter Vielfalt. Eine dieser bemerkenswerten Anlagen umgibt eine sprudelnde heiße Quelle. Hier gedeihen Pflanzen mit fleischigen Blättern und exotisch duftenden Blüten, und sie wirken wie Gäste aus wärmeren Gefilden, die hier angesiedelt wurden, um die Bergbewohner mit ihrer Fremdartigkeit zu entzücken. Oft lassen Besucher Geschenke in den Parks zurück, etwa eine Holzschnitzerei oder ein schönes Gefäß oder vielleicht auch nur ein Mosaikbild aus farbigen Kieseln. Die Parks gehören allen, und alle pflegen sie.
In Jhaampe findet man aber außer dieser einen noch weitere heiße Quellen unterschiedlichster Aktivität. Viele davon hat man eingefasst und nutzt sie zum einen als öffentliche Bäder, zum anderen dienen sie auch zur Beheizung einiger kleinerer Behausungen. Und in jedem Haus, in jedem Park, hinter jeder Biegung findet der Besucher die ursprüngliche Schlichtheit von Farbe und Form, die das Ideal der Bergbewohner darstellen. Der vorherrschende Eindruck, den man bekommt, ist der von Harmonie und Freude an der Natur. Die bewusste Einfachheit des Lebens in Jhaampe mag den Besucher veranlassen, seine eigene Lebensweise einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Es war Nacht. Irgendeine Nacht nach langen, schmerzensreichen Tagen. Ich war auf meinen Stab gestützt und bewegte mich so Schritt für Schritt voran. Es war ein mühseliges und qualvoll langsames Vorwärtskommen. Dazu nahmen einem das wilde Schneegestöber mehr als die Dunkelheit die Sicht, aber es gab kein Entrinnen vor dem launischen Wind, der die Schneeflocken zum Tanzen brachte. Nachtauge umkreiste mich wie ein Hütehund das verirrte Schaf. Von Zeit zu Zeit winselte er unruhig. Aus seinem straff angespannten Körper waren dann gleichzeitig Furcht und Erschöpfung herauszulesen. Er witterte Holzrauch und Ziegen. Er führte mich in diese Richtung. -... es ist nicht, um dich zu verraten, mein Bruder, um dir zu helfen. Vergiss das nicht. Du brauchst jemanden mit Händen. Aber wenn sie versuchen, dir ein Leid zu tun, brauchst du nur rufen, und ich werde kommen. Ich bleibe in der Nähe...
Ich konnte mich nicht auf seine Gedanken konzentrieren. Ich spürte dennoch seine Verbitterung darüber, dass er nicht fähig war, mir richtig zu helfen, und seine Angst, mich womöglich in eine Falle laufen zu lassen. Mir war, als hätten wir uns gestritten, doch ich konnte mich nicht erinnern, auf welchen Standpunkten ich beharrt hatte. Auf jeden Fall lag die Führung nun bei Nachtauge, einfach und schon deshalb, weil er wusste, was er wollte. Auf dem festgetretenen Schnee des Pfades glitt ich aus und fiel auf die Knie. Nachtauge setzte sich neben mich und wartete. Ich wollte mich auf dem Boden ausstrecken, doch er nahm mein Handgelenk zwischen die Zähne und zog an meinem Arm; das zwar sehr behutsam, dennoch entsandte das Ding in meinem Rücken mir plötzlich einen flammenden Schmerz. Ich schrie auf.
Bitte, mein Bruder. Da vorne sind Hütten und Licht ist darin. Feuer und Wärme. Und jemand mit Händen,
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