Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
finden. Am Fuße der Schlucht hörte ich einen Ruf, worauf ich gegen meinen Willen nach unten schaute. Dort standen ein Mann und ein Hund im Halbdunkel; während Letzterer zu mir hinaufbellte, legte sein Herr einen Pfeil auf die Sehne. Ich hing hilflos über ihnen und gab die beste Zielscheibe ab, die man sich wünschen konnte.
»Bitte«, hörte ich mich noch ächzend klagen und gleich darauf ertönte das schwirrende, unverkennbare Geräusch einer losgelassenen Bogensehne. Ich fühlte zuerst einen harten Schlag gegen den Rücken, gefolgt von einem tiefen, durchdringenden Schmerz in meinem Innern. Unwillkürlich öffnete sich daraufhin meine linke Hand. Sie ließ einfach los, und ich hing pendelnd nur noch an meiner rechten. Überdeutlich hörte ich das aufgeregte Winseln und Kläffen des Hundes, der mein Blut witterte, und das Rascheln der Kleidung des Mannes, als er den nächsten Pfeil aus dem Köcher zog.
Mich packte erneut ein Schmerz und fuhr mir tief ins rechte Handgelenk. Ich schrie auf, als meine Finger abglitten. In schierem Entsetzen scharrten meine Füße haltsuchend über Felsen, Erde und Wurzelwerk. Tatsächlich, und wider alle Wahrscheinlichkeit, gelangte ich irgendwie langsam nach oben. Mein Gesicht wühlte sich durch verkrusteten Schnee. Ich spürte meinen linken Arm wieder und vollführte mit ihm ziellose, rudernde Bewegungen. Die Beine hoch! Das war Nachtauges ungeduldige Aufforderung, die durch meinem Kopf hallte. Er gab gleichwohl keinen Laut von sich, denn er hatte Hemdstoff und Fleisch meines rechten Arms zwischen den Zähnen und zerrte mich über die Felskante. Diese Hoffnung verlieh mir neue Kräfte. Ich stieß wild mit den Beinen aus und hatte plötzlich festen Grund unter dem Bauch. Ich robbte weiter nach oben, weg vom Felsvorsprung und bemühte mich, den Schmerz in meinem Rücken zu ignorieren, der sich nun pulsierend von der Pfeilwunde aus wie ein roter Schwall in meinem ganzen Körper ausbreitete. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich geglaubt, dass ein Pfahl in meinem Rücken steckte.
Steh auf, steh auf. Wir müssen fliehen.
Ich weiß nicht mehr, woher ich die Kraft nahm, mich vom Boden aufzurappeln. Hinter mir kletterten die Hunde aus der Schlucht heraus, doch oben stand schon Nachtauge bereit und nahm sie in Empfang. Seine schnappenden Kiefer rissen ihnen tiefe Wunden. Ihre blutigen Leiber schleuderte er auf die übrige Meute hinunter. Als der Mischling in die Tiefe stürzte, wurde das Gekläff unten leiser. Wir erfuhren beide seinen Todeskampf und hörten das Klagen des Mannes, dessen Brudertier im Schnee verblutete. Der zweite Jäger rief seine Hunde zurück und erklärte den Reitern zornig, es hätte keinen Sinn, die Tiere in den sicheren Tod zu hetzen. Ich hörte die Männer rufen und fluchen, als sie ihre müden Pferde herumzogen und sich auf den Rückweg machten, um irgendwo eine Stelle zu finden, wo sie die Schlucht verlassen und erneut die Verfolgung aufnehmen konnten.
Lauf., drängte Nachtauge. Wir wollten beide nicht über das eben Erlebte sprechen. Ein warmer, nichts Gutes verheißender Strom ergoss sich über meinen Rücken, während sich gleichzeitig eine schleichende Kälte in meinem Körper ausbreitete. Ich griff mit der Hand an meine Brust, um zu fühlen, ob die Pfeilspitze womöglich dort herausragte; aber nein, sie war tief in meinem Fleisch eingegraben. Ich wankte hinter Nachtauge her, betäubt von zu vielen Empfindungen, zu vielen verschiedenen Schmerzen. Wenn der Pfeil meine Lunge verletzt hatte... Auch ein Wild mit Lungenschuss kam nicht weit. Schmeckte ich schon Blut hinten auf meiner Zunge?
Denk nicht darüber nach!, fuhr Nachtauge mich an. Du schwächst uns beide. Geh einfach weiter. Immer weiter .
Als wusste er nicht genauso gut wie ich, dass ich nicht mehr laufen konnte. Ich ging eine Zeitlang mühsam voran, und er trabte neben mir her. Dann stolperte ich irgendwann nur noch ziellos und blindlings vorwärts und in die Dunkelheit hinein, und er war nicht länger bei mir. Ich spürte nach ihm, doch ich konnte ihn nicht mehr finden. Aus weiter Ferne hörte ich gedämpft Hundegebell. Ich torkelte gegen Bäume. Zweige zerkratzten mein Gesicht, aber es tat nicht weh. Mein Gesicht war gefühllos. Der blutgetränkte Hemdstoff an meinem Rücken war wie ein gefrorener Panzer, der an meiner Haut scheuerte. Ich wollte den Umhang enger an mich ziehen, der aufflammende Schmerz zwang mich dabei jedoch fast auf die Knie. Wie dumm von mir. Geh weiter, Fitz. Und
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