Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
sechs nicht genug wären, um Veritas zu finden, würden auch sechshundert nicht ausreichen. Ich stimmte ihr zu, dass es leichter war, einen kleinen Trupp zu verpflegen, und man kam schneller voran als mit einem großen Tross.
Chade würde nicht mit uns kommen. Er wollte nach Bocksburg zurückkehren, um Philia die Nachricht zu bringen, dass Kettricken noch einmal versuchen wollte, Veritas zu finden, und um das Gerücht auszustreuen, es gäbe wahrhaftig einen Erben für den Thron der Sechs Provinzen. Außerdem wollte er Burrich und Molly und das Kind besuchen. Er bot mir an, Molly, Philia und Burrich wissen zu lassen, dass ich noch am Leben war. Als er mir das Angebot machte, wirkte er befangen, denn er wusste nur allzu gut, dass ich ihm seine Beteiligung an dem Tauziehen um meine Tochter übelnahm. Doch ich schluckte meinen Ärger hinunter und redete höflich mit ihm, und er versprach mir, niemandem etwas von mir zu verraten. Ich hielt es so für das Beste. Mein Gefühl sagte mir, dass nur ich selbst Molly verständlich machen konnte, weshalb ich so und nicht anders gehandelt hatte. Und sie hatte ja schon einmal um mich getrauert. Falls ich diese Expedition nicht überleben sollte, sollte ihr das keinen neuen Schmerz bereiten.
Chade kam am Abend seines Aufbruchs noch einmal zu mir, um Lebewohl zu sagen. Anfangs versuchten wir beide so zu tun, als stünde zwischen uns alles zum Besten. Wir sprachen dann noch über allerlei andere Dinge, die uns beiden einmal wichtig gewesen waren. So empfand ich aufrichtige Trauer, als er mir von Schleichers Tod erzählte. Dann versuchte ich ihn zu überreden, Rötel und Rußflocke mitzunehmen und sie wieder in Burrichs Obhut zu geben. Rötel brauchte eine feste Hand, die er hier nicht bekam, und für Burrich konnte er viel mehr sein als nur ein Reittier. Man konnte seine Dienste als Deckhengst anbieten, gegen Silber oder Tauschwaren, und Rußflockes Fohlen bedeutete bares Geld. Doch Chade schüttelte den Kopf und gab zur Antwort, für ihn wäre es wichtig, schnell zu reisen, um möglichst keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Mann mit drei Pferden war dagegen ein gefundenes Fressen für Wegelagerer. Ich hatte den biestigen kleinen Wallach gesehen, den Chade ritt. Tückisch war er, aber auch zäh und trittsicher und, so versicherte mir Chade, sehr schnell im wilden Querfeldeinritt. Während er das sagte, grinste er verwegen, und ich schloss daraus, dass diese Eigenschaft des Pferdes bereits gründlich auf die Probe gestellt worden war. Der Narr hatte Recht - Krieg und Intrigen wirkten auf Chade wie ein Jungbrunnen. Ich musterte ihn in seinen hohen Reitstiefeln und dem weiten Mantel, das Medaillon mit dem Bockswappen auf seiner Stirn, musterte dann die grünen Augen und versuchte, ihn mit dem sanften alten Mann in Verbindung zu bringen, der mich die Kunst des Mordes gelehrt hatte. Die Zahl seiner Jahre war nicht geringer geworden, doch er trug inzwischen leichter an ihnen. Insgeheim fragte ich mich, welche Drogen er wohl heute nahm, um sich seine Kraft zu erhalten.
Doch ungeachtet aller Veränderungen blieb er Chade. Ich wollte die Hand nach ihm ausstrecken, um mich zu vergewissern, dass es noch immer ein Band zwischen uns gab, aber ich konnte es nicht. Ich konnte mich selbst nicht begreifen. Wie kam es, dass seine Meinung mir immer noch so wichtig war, obwohl ich wusste, wie er ohne Skrupel mir mein Kind und mein Glück nehmen würde, nur um seinem Ideal der Königstreue zu dienen? Weshalb war ich so schwach und konnte ihn nicht wirklich hassen? Wenn ich in meinem Innern nach diesem Hass suchte, fand ich stattdessen nur einen kindischen Trotz, der mich daran hinderte, beim Abschied seine Hand zu ergreifen oder ihm Glück zu wünschen. Er ignorierte jedoch einfach meine Engstirnigkeit, wodurch ich mich nur noch kindischer fühlte.
Nachdem Chade fort war, übergab mir der Narr die lederne Satteltasche, die er für mich zurückgelassen hatte. Der Inhalt bestand aus einem erstklassigen Gürtelmesser, einem kleinen Beutel voll Münzen und einer Auswahl von giftigen und heilsamen Kräutern, einschließlich eines größeren Vorrats an Elfenrinde. Alles war sorgfältig eingewickelt und mit dem Hinweis beschriftet, man solle nur mit Vorsicht davon Gebrauch machen und nur in größter Not auf das Briefchen mit Carrissamen zurückgreifen. In einer abgewetzten Lederscheide steckte ein schmuckloses, aber solides Kurzschwert. Ich konnte es mir nicht erklären, aber plötzlich begann ich, mich
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