Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
treffen. In den Sechs Provinzen hätte die Königin auf den Inhalt ihrer Schatztruhen zurückgreifen und auf die berechnende Großzügigkeit ihrer Fürsten zählen können. Im Bergreich verhielt es sich anders. Hier war Kettricken, solange König Eyod lebte, nichts weiter als eine jüngere Verwandte des geweihten OPFERS. Während man von ihr erwartete, dass sie ihm eines Tages nachfolgte, gab ihr das noch lange keine Verfügungsgewalt über die Besitztümer ihres Volkes. Auch wenn sie selbst OPFER gewesen wäre, hätte sie keinen Anspruch auf die Reichtümer und Ressourcen des Landes erheben können. So führten das OPFER und seine nächsten Angehörigen in ihrer wunderschönen Residenz auch ein genügsames Leben. Ganz Jhaampe, der Palast, die Parks, die Brunnen, alles gehörte der gesamten Bevölkerung des Bergreichs. Dem, der OPFER war, mangelte es an nichts, doch er besaß auch keinen Überfluss.
Deshalb nahm Kettricken sich die nötigen Mittel nicht aus der königlichen Schatulle oder von Höflingen, die um ihre Gunst wetteiferten, sondern sie wandte sich an Freunde und Vettern. Sie war zuerst zu ihrem Vater gegangen, doch er hatte ihr voller Entschiedenheit, aber dennoch bekümmert erklärt, den König der Sechs Provinzen zu suchen sei ihre Angelegenheit, nicht die des Bergreichs. Sosehr er mit seiner Tochter um das Verschwinden ihres geliebten Gemahls trauerte, die Lage der Dinge erlaubte ihm nicht, ihr Menschen oder Material zur Verfügung zu stellen, während er sich darauf vorbereitete, das Bergreich gegen den Halbbruder des verschwundenen Königs zu verteidigen. Denn jener befand sich eindeutig in Kriegsvorbereitungen. Das Band zwischen Vater und Tochter war so eng, dass Kettricken seine Weigerung verständnisvoll hinnehmen konnte. Ich schämte mich bei dem Gedanken, dass die rechtmäßige Königin der Sechs Provinzen auf die Mildtätigkeit von Freunden und Verwandten angewiesen war; solche Gedanken für sie hegte ich allerdings nur, wenn nicht gerade wieder mein Groll gegen sie aufflammte.
Kettricken hatte die Expedition nach ihren Vorstellungen organisiert, die nicht unbedingt mit den meinen übereinstimmten. Mir behagte das meiste nicht. In den wenigen Tagen, die mir bis zum Aufbruch blieben, ließ sie sich herab, mich in einigen Punkten nach meiner Meinung zu fragen, doch meine Ratschläge wurden dabei ebenso häufig verworfen wie beachtet. Wir gingen höflich miteinander um, und in unseren Begegnungen zeigte sich weder ein Gefühl von Freundschaft noch von Zorn. Auf vielen Gebieten waren wir unterschiedlicher Ansicht, und in solchen Fällen tat sie, was sie für das Beste hielt. Ohne viele Worte wurde mir so klargemacht, wie fehlerhaft und kurzsichtig meine Urteile in der Vergangenheit gewesen waren.
Ich wollte keine Tragtiere dabeihaben, die aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann vor Hunger oder Kälte starben. Auch wenn ich mich noch so gründlich abschirmte, durch die Alte Macht war ich in einer solchen Situation nämlich dazu verurteilt, ihre Leiden mitzuempfinden. Kettricken jedoch hatte ein halbes Dutzend Tiere beschafft, von denen sie behauptete, dass Schnee und Kälte ihnen nichts ausmachten und dass sie nur mit wenig Futter auskamen. Es waren Jeppas, die in einigen abgelegenen Regionen des Bergreichs lebten. Mich erinnerten sie an Ziegen, da sie einen langen Hals und Pfoten statt Hufen hatten. Ich bezweifelte, dass ihre Nützlichkeit den Aufwand zu ihrer Versorgung aufwog. Kettricken erklärte mir ruhig, dass ich mich bald an sie gewöhnen würde.
Hängt davon ab, wie sie schmecken, bemerkte Nachtauge philosophisch. Ich war geneigt, ihm zuzustimmen.
Kettrickens Auswahl unserer Begleiter bereitete mir noch größeres Missfallen. Ohnehin hielt ich es für dumm, dass sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzte, doch behielt ich diese Meinung weise für mich. Dass Merle mit uns kommen sollte, ging mir erst recht gegen den Strich - besonders nachdem mir zu Ohren gekommen war, auf welche Weise sie sich ihren Platz ergattert hatte, nämlich durch die stillschweigende Übereinkunft, nur wenn man ihr mitzukommen erlaubte, würde sie schriftlich bezeugen, dass Mollys Tochter auch mein leibliches Kind war. Sie wusste, ich war der Ansicht, dass sie mich verraten hatte; und so ging sie mir klugerweise aus dem Weg. Des Weiteren begleiteten uns drei Vettern Kettrickens, große kräftige Burschen und erfahrene Bergsteiger. Unser Trupp zählte also insgesamt sechs Personen. Kettricken versicherte mir, wenn
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