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Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier

Titel: Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Ich stand vor ihm, und unsere Blicke trafen sich. Wie soll ich es beschreiben - es war so etwas wie ein gegenseitiges Erkennen. Als sähen jeder von uns beiden, was aus uns unter anderen Umständen hätte werden können. Deswegen ließ er aber keine Milde mir gegenüber walten. Mein Sold wurde gestrichen, und mir wurden mehr Arbeiten aufgebrummt. Beim zweiten Mal rechnete jeder damit, dass Chivalric mich aus der Truppe verstoßen würde. Ich stand vor ihm, jederzeit bereit, ihn für seine Strafe zu hassen, aber er sah mich nur an. Mit zur Seite geneigtem Kopf, wie ein Hund, wenn er in der Ferne ein Geräusch hört. Sein Urteil lautete: wieder kein Sold und noch mehr Arbeit. Doch er behielt mich. Alle hatten mir prophezeit, meine Tage in seinen Diensten wären gezählt, und nun erwarteten alle, dass ich desertierte. Ich kann nicht sagen, weshalb ich es nicht tat. Weshalb Soldat sein ohne Sold, sich schinden ohne Lohn?«
    Burrich räusperte sich erneut. Ich hörte, wie er sich tiefer in sein Bett wühlte. Eine Weile blieb er stumm, bis er schließlich beinahe widerwillig fortfuhr. »Das dritte Mal, als man mich vor ihn brachte, war es wegen einer Wirtshausschlägerei. Die Stadtwache schleppte mich an, wie ich zerrauft und blutend immer noch fluchte und tobte. Mittlerweile wollten meine Kameraden nichts mehr mit mir zu tun haben. Mein Feldwebel hatte mich abgeschrieben, und unter den einfachen Soldaten besaß ich keine Freunde. Die Aufgabe, mich in Gewahrsam zu nehmen, fiel deshalb der Stadtwache zu, und man berichtete Chivalric, ich hätte zwei Männer niedergeschlagen und mir fünf weitere mit einem Stock vom Leib gehalten, bis Verstärkung eintraf und es gelungen war, mich zu überwältigen.
    Chivalric entließ die Stadtwache und gab ihr eine gewisse Geldsumme zur Entschädigung des Wirtes mit. Er saß hinter seinem Tisch, ein halbfertiges Schriftstück vor sich, und musterte mich von oben bis unten. Dann erhob er sich ohne ein Wort und schob den Tisch an eine Wand. Er zog sein Hemd aus und nahm sich eine Pike aus dem Ständer. Ich dachte, er hätte vor, mich eigenhändig zu töten, doch er sagte: ›Na gut, zeig mir, wie du fünf Männer in Schach gehalten hast‹. Dann ging er auf mich los.« Burrich räusperte sich. »Ich war müde und ziemlich betrunken, aber ich wollte nicht aufgeben. Zu guter Letzt brachte er einen glücklichen Treffer an und streckte mich zu Boden.
    Als ich aufwachte, hatte der Hund wieder einen Herrn. Einen Herrn von anderer Art. Ich weiß, du hast die Leute sagen hören, Chivalric wäre kalt und steif und unnahbar gewesen. Das stimmt nicht. Er war, wie er glaubte, dass ein Mann sein sollte. Mehr noch, wie nach seiner Überzeugung ein Mann sich wünschen sollte zu sein. Er nahm einen diebischen, verlotterten Herumtreiber zu sich und...« Er stockte plötzlich und seufzte. »Am nächsten Tag scheuchte er mich vor Morgengrauen aus dem Bett. Waffenübungen, bis keiner von uns sich mehr auf den Beinen halten konnte. Ich hatte nie eine ordentliche Ausbildung erhalten. Man hatte mir eine Pike in die Hand gedrückt und mich in den Kampf geschickt. Er holte das Versäumte erbarmunglos nach, und er lehrte mich das Schwertfechten. Er war kein Freund der Streitaxt, aber ich hatte Lust dazu, also brachte er mir bei, was er wusste und berief einen Mann zu meinem Lehrer, der die Technik dieser besonderen Waffe beherrschte. Den Rest des Tages musste ich ihm auf Schritt und Tritt folgen. Wie ein Hund, ganz recht. Warum? Vielleicht fehlte ihm ein Gefährte in seinem Alter. Vielleicht vermisste er Veritas. Vielleicht - ich weiß es nicht.
    Er unterwies mich in den Zahlen, dann im Lesen und Schreiben. Er vertraute mir sein Pferd an. Dann seine Falken und Hunde. Schließlich übertrug er mir die Verantwortung für unsere Packtiere und Zugpferde. Doch es waren nicht nur praktische Dinge, die er mich lehrte. Reinlichkeit, Aufrichtigkeit - plötzlich erhielten die Dinge Gewicht, die meine Mutter und meine Großmutter mir vor so langer Zeit einzuprägen versucht hatten. An seinem Beispiel lernte ich, dass dies Tugenden waren, die einen Mann auszeichnen, und nicht bloß die Hausmanieren einer Frau. Er lehrte mich, ein Mensch zu sein, statt ein Tier in menschlicher Gestalt. Durch ihn sah ich, es waren mehr als Regeln, es war eine Art zu sein. Leben, nicht nur überleben.«
    Burrich verstummte. Ich hörte, wie er aufstand. Er ging zum Tisch und nahm die Flasche Holunderbeerwein, die Chade zurückgelassen hatte. Ich

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