Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
jene kälteste, schwärzeste Zeit, wenn die Welt den Abend vergessen hat und den Morgen nicht ahnt. Viel zu früh, um aufzustehen, jedoch so spät, dass es kaum noch lohnt, sich hinzulegen. Genau zu dieser Stunde kam Burrich zurück. Ich lag wach, aber ich rührte mich nicht. Er ließ sich nicht täuschen.
»Chade hat sich auf den Heimweg gemacht«, berichtete er mit ruhiger Stimme. Ich hörte, wie er den umgekippten Stuhl hinstellte. Er setzte sich und zog die Stiefel aus. Keine Feindseligkeit ging von ihm aus, kein Groll, als wären meine verbitterten Worte nie gesprochen worden. Oder als wäre er nach Erregung und Schmerz in einen Zustand der Betäubung verfallen.
»Es ist zu dunkel für einen solchen Marsch«, sagte ich behutsam zu den Flammen, um den brüchigen Frieden nicht zu gefährden.
»Ich weiß. Doch er hat eine kleine Laterne bei sich. Er sagte, er hätte mehr Angst zu bleiben, Angst, es doch nicht zu können. Dich deiner eigenen Wege gehen zu lassen.«
Was ich in kränkender Weise selbst herbeigeführt hatte, erschien mir nun, als würde ich verstoßen. Eine alte Angst stieg in mir hoch und raubte mir die Entschlossenheit. Von Panik erfüllt, setzte ich mich auf. Mein Mund war trocken. »Burrich, was ich vorhin gesagt habe... Ich war wütend, ich habe...«
»Mitten ins Schwarze getroffen.« Der Laut, den er ausstieß, hätte ein Lachen sein können, wäre er nicht so mit Bitterkeit befrachtet gewesen.
»Nur deshalb, weil Menschen, die sich gut kennen, auch genau wissen, wie sie den anderen am tiefsten verletzen können.«
»Nein. Es ist schon so, vielleicht braucht dieser Hund einen Herrn.« Der Hohn in seiner Stimme, als er von sich selber sprach, war ätzender als alles, was ich ihm entgegengeschleudert hatte. Mir war die Kehle wie zugeschnürt. Er stellte die Stiefel neben den Stuhl, richtete sich auf und sah mich an. »Es lag nie in meiner Absicht, Fitz, dass du so werden solltest wie ich. Das wünsche ich keinem anderen Menschen. Ich wollte, dass du deinem Vater ähnlich würdest, aber manchmal kam es mir vor, du schienst entschlossen zu sein, mir nachzueifern - egal was ich auch tat.« Eine Zeitlang blickte er stumm auf die Holzglut. Als er endlich weitersprach, war es, als erzählte er einem schläfrigen Kind eine Mär aus vergangener Zeit.
»Ich wurde in den Chalced-Staaten geboren. Einem kleinen Küstenort, Fischerei- und Handelshafen. Lees. Meine Mutter brachte mich und Großmutter als Wäscherin durch. Mein Vater starb, bevor ich geboren wurde. Er ist auf See geblieben. Meine Großmutter gab acht auf mich, aber sie war alt und häufig krank.« Der Klang seiner Stimme verriet mir das bittere Lächeln, das seine Worte begleitete. »Ein Leben in Sklaverei ist der Gesundheit nicht förderlich. Meine Mutter liebte mich und tat für mich, was sie konnte, aber ich war kein Junge, der sich in der Hütte bei ruhigen Spielen vergnügte. Und es gab zu Hause niemanden, der stark genug war, mich an der Kandare zu halten. Also verschwisterte ich mich in sehr jungen Jahren mit dem einzigen starken, männlichen Geschöpf in meiner Nähe, dem an mir lag. Mit einem mageren, narbenübersäten Straßenköter. Sein einziges Ziel war Überleben, und seine Treue gehörte nur mir. Wir waren Rudelbrüder. Seine Welt und seine Art zu leben, das war alles, was ich kannte. Nehmen, was man will, wann man es will und nicht weiter denken als bis zur nächsten Mahlzeit. Ich bin sicher, du verstehst, was ich meine. Die Nachbarn dachten, ich sei stumm. Meine Mutter dachte, ich sei blöde. Allein meine Großmutter, glaube ich, hegte einen Verdacht. Sie versuchte, den Hund zu verjagen, aber wie du, hatte ich in dieser Sache meinen eigenen Kopf. Ich muss ungefähr acht gewesen sein, als er zwischen einen Gaul und seinen Karren geriet und totgetreten wurde. Er hatte gerade eine Speckseite gestohlen.« Burrich stand vom Stuhl auf und ging zu seinen Decken.
Als er mir Nosy weggenommen hatte, war ich noch jünger gewesen als acht Jahre. Ich hatte geglaubt, er sei tot. Burrich jedoch hatte den wirklichen, gewaltsamen Tod seines Brudertiers miterlebt, und das war fast so schlimm, wie selbst zu sterben. »Was hast du getan?«, fragte ich leise.
Ich hörte, wie er sein Bett zurechtmachte und sich hinlegte. »Ich lernte sprechen«, antwortete er nach einer Weile. »Meine Großmutter zwang mich, nach Reißers Tod weiterzuleben. In gewisser Hinsicht übertrug ich meine Anhänglichkeit auf sie. Nicht, dass ich vergaß, was ich von
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