Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
um nach Fierant zu gehen und Edel zu töten.
KAPITEL 3
DIE EXPEDITION
D ie Gabe ist die erbliche Magie des Hauses Weitseher. Während sie in der direkten Linie in stärkster Ausprägung vorkommt, findet sie sich schwächer, aber gar nicht selten, auch in Seitenzweigen der Familie oder bei Menschen, zu deren Vorfahren sowohl Outislander als auch Bewohner der Sechs Provinzen zählen. Es ist eine Magie des Verstandes, die dem Gabenkundigen erlaubt, über eine beliebige Entfernung hinweg mit anderen zu kommunizieren. Ihre Möglichkeiten sind vielfältig. In der einfachsten Form lässt sie sich gebrauchen, um Nachrichten zu übermitteln, um die Gedanken von Freunden (oder Feinden) zu beeinflussen und in die gewünschte Richtung zu lenken. Zwei Nachteile sind allerdings zu bedenken: Sich ihrer täglich zu bedienen, das kostet viel Kraft, und sie stellt eine gefährliche Verlockung dar, weil sie den Gabentätigen, sollte es ihm an Disziplin mangeln, in einen Zustand der Euphorie versetzt, der sich steigert, je länger und intensiver er von der Gabe Gebrauch macht. Daraus kann sich eine Sucht entwickeln, die den Kundigen nach und nach aller körperlichen und geistigen Kräfte beraubt, bis er nur mehr eine leere Menschenhülle ist.
Am nächsten Morgen hieß es Abschied nehmen. Als ich aufwachte, hatte sich Burrich bereits angekleidet und war damit beschäftigt, sein Bündel zu schnüren. Es ging schnell. Er ließ mir den Löwenanteil von unserem Proviant. Obwohl wir abends zuvor nichts getrunken hatten, sprachen wir beide mit gedämpfter Stimme und bewegten uns so vorsichtig, als hätten wir unter den Nachwirkungen eines Zechgelages zu leiden. Die Art, wie wir um den heißen Brei herumredeten, war schlimmer, als wenn wir überhaupt nicht miteinander gesprochen hätten. Mich drängte es dazu, Entschuldigungen daherzustammeln, ihn zu bitten, er möge sich besinnen und etwas tun - was auch immer es sei - damit unsere Freundschaft nicht auf diese Weise endete. Gleichzeitig wünschte ich, er wäre endlich weg, all das wäre ausgestanden, es wäre morgen, ein neuer Tag und ich allein. Ich hielt an meinem Entschluss fest wie an dem Griff eines scharfen Messers. Wahrscheinlich empfand er etwas Ähnliches, denn ab und zu hielt er beim Packen inne und schaute mich an, als wolle er etwas sagen. Dann trafen sich unsere Blicke und blieben aneinander haften, bis entweder der eine oder der andere zur Seite schaute. Zu viel Unausgesprochenes lag zwischen uns.
In entsetzlich kurzer Zeit war er bereit zum Aufbruch. Er schulterte seinen Packen und holte einen Wanderstab hinter der Tür hervor. Ich schaute ihn an und unwillkürlich musste ich daran denken, wie seltsam das aussah: Burrich, der Reiter, zu Fuß.
Im Licht der Frühsommersonne, die durch die offene Tür schien, erblickte ich in ihm einen Mann am Ende seiner mittleren Jahre; die weiße Haarsträhne über der Narbe in seiner Kopfhaut ließ das Grau ahnen, das in seinem Bart schon deutlich zu sehen war. Er war gesund und stark, aber die Jugend lag unwiderruflich hinter ihm. Seine besten Jahre hatte er damit zugebracht, über mich zu wachen.
»Nun«, sagte er brummig, »leb wohl, Fitz, und viel Glück.«
»Auch dir viel Glück, Burrich.« Ich durchquerte mit schnellen Schritten den Raum und umarmte ihn, bevor er noch etwas sagen konnte.
Burrich erwiderte die Umarmung kurz und heftig, so dass ich glaubte, meine Rippen knacken zu hören, dann strich er mir das Haar aus dem Gesicht. »Geh und kämm dich. Du siehst aus wie ein Wilder.« Der Schatten eines Lächelns huschte um seinen Mund. Er wandte sich ab und ging. Ich stand in der Tür und schaute ihm nach. Ich glaubte, er würde nicht zurückblicken, doch am anderen Ende der Wiese blieb er stehen, drehte sich um und hob die Hand. Ich erwiderte den Gruß. Dann war er zwischen den Bäumen verschwunden. Ich saß eine Zeitlang auf der Schwelle und hielt den Blick auf den Punkt gerichtet, wo ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
Ich dachte an alles, was ich in der Nacht zu ihm gesagt hatte und war untröstlich. Es musste gesagt werden, rechtfertigte ich mich vor mir selbst. Ich hatte einen Bruch herbeiführen wollen. Doch in der Erregung war zu viel von dem alten Groll hervorgebrochen, der lange an mir gefressen hatte. Das war nicht meine Absicht gewesen. Ich hatte Burrich vertreiben wollen, nicht ihn ins Herz treffen. Wie Molly würde er für den Rest seines Lebens den Zweifel mit sich herumtragen, den ich gesät hatte.
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