Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Als einige Zeit später Krähe zwischen den Bäumen hervorkam und den Fuß auf die Oberfläche der Straße setzte, stand ich noch immer da und beobachtete das Ganze. Auch sie blieb stehen und war offenbar verblüfft, denn sie murmelte irgendetwas vor sich hin.
»Hast du gerade gesagt, dies sei ein Werk der Gabe?«, forschte ich.
Sie zuckte zusammen, als wäre sie sich meiner Anwesenheit nicht mehr bewusst gewesen und starrte mich einen Augenblick lang stumm an, bis sie sich wieder gefasst hatte. »›Teufelswerk‹ habe ich gesagt. Ich hätte mir bei dem Sprung hier runter fast den Knöchel verknackst. Diese Bergstiefel geben so viel Halt wie ein Paar Socken.« Sie wandte sich ab und marschierte hinter den anderen her. Ich folgte ihr. Bei jedem Schritt glaubte ich, mich durch Wasser zu bewegen, ohne allerdings den Widerstand von Wasser zu spüren. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben. Als wäre ich in einer Strömung gefangen, die mich mit sich trug.
Es versucht, das Joch abzuschütteln, bemerkte der Wolf erneut. Ich schaute auf und sah ihn neben mir hertrotten, doch oben am Rand der Böschung, nicht auf der Straße. Du solltest zu mir hinaufkommen.
Ich dachte darüber nach. Aber ich fühle mich gut. Hier geht es sich leichter, weil der Boden eben ist.
Ja, und das Feuer wärmt dich so lange, bis es dich plötzlich verbrennt.
Ich ließ ihm das letzte Wort, schloss zu Krähe auf und ging zusammen mit ihr weiter. Nach den Tagen des mühseligen Marschs auf dem schmalen Pfad fand ich es natürlicher und kameradschaftlicher, nebeneinander herzugehen. Wir blieben den ganzen Rest des Nachmittags auf dieser alten Straße. Sie führte stetig und leicht bergauf und verlief quer zu den Berghängen, so dass die Mühsal des Aufstiegs sich in Grenzen hielt. Nur hin und wieder verunzierten herabgefallene Äste die unberührte Schneedecke, wodurch sich mein erster überraschender Eindruck bestätigte: Ich hatte während des ganzen Marsches noch keine einzige Tierfährte gesehen.
Nichts Essbares regt sich hier, bestätigte mich Nachtauge trübsinnig. Ich werde heute Abend weit laufen müssen, um mir den Bauch vollzuschlagen.
Warum bis heute Abend warten?
Ich will dich nicht allein lassen auf dieser Straße, antwortete er voller Ernst.
Was soll mir passieren? Krähe ist hier bei mir, also wäre ich nicht allein.
Sie ist nicht besser als du, lautete Nachtauges verbissener Kommentar. Meine Neugier wuchs, aber trotz meiner Fragen war er nicht in der Lage, mir zu erklären, was ihn beunruhigte.
Doch während der Nachmittag in den Abend überging, begann ich mir selbst Gedanken darüber zu machen. Wieder und wieder ertappte ich mich dabei, wie ich aus lebhaften Tagträumen aufschrak, die sich wie ein Nebel über mein Bewusstsein legten. Wie die meisten Träume waren auch sie sofort verflogen und hinterließen nur vage, rasch verblassende Erinnerungsfetzen. Philia, die militärische Kommandos gab, als wäre sie die Königin der Sechs Provinzen. Burrich badete einen Säugling und summte dabei leise vor sich hin. Zwei mir unbekannte Leute mühten sich, aus rußgeschwärzten Steinen ihr Häuschen wieder aufzubauen. Mir erschienen viele unsinnige, bunte Trugbilder, das jedoch so deutlich, dass ich sie fast als Wirklichkeit akzeptierte. Das anfangs so leichte und erholsame Vorankommen auf dieser Straße schien nach und nach zu einem unwillkürlichen Eilmarsch zu werden, so als befände ich mich im unwiderstehlichen Sog einer Macht, woraus es kein Entrinnen gab. Trotzdem kann ich nicht besonders schnell gegangen sein, denn Krähe blieb den ganzen Nachmittag an meiner Seite. Immer wieder unterbrach sie meinen Gedankenfluss, stellte mir Fragen, lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen Vogel am Himmel oder erkundigte sich nach den Schmerzen in meinem Rücken. Ich bemühte mich, ihr Antwort zu geben, doch schon im nächsten Augenblick konnte ich mich nicht mehr entsinnen, wovon die Rede gewesen war. Sie hatte allen Grund dazu, über meine Geistesabwesenheit den Kopf zu schütteln, aber ich konnte nichts dagegen tun. Wir kamen an einem Ast vorbei, der auf der Straße lag. Mir fiel etwas daran auf, und ich wollte es Krähe gegenüber erwähnen, nur dass der Gedanke davongeflogen war, bevor er richtig Gestalt angenommen hatte. Ich war so sehr in meinen ziellosen Gedanken versunken, dass ich zusammenzuckte, als der Narr meinen Namen rief. Ich spähte nach vorn, doch nicht einmal die Jeppas waren mehr zu sehen. »FitzChivalric!«, rief er wieder.
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