Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
nördlich von uns müssten wir diesen anderen Pfad finden. Ich hatte gehofft, es gäbe aus früherer Zeit noch eine Verbindung zwischen ihnen. Mir erschien es plausibel, dass diese alte Straße mit einer anderen verbunden sein könnte, die noch tiefer im Dunkel der Geschichte versunken war. Aber jetzt...« Sie seufzte. »Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach der Nase nach zu gehen und auf etwas Glück zu hoffen.«
Ihre Worte waren nicht unbedingt dazu angetan, uns allen Zuversicht einzuflößen.
Dennoch setzten wir am nächsten Tag unsere Reise fort, zogen in nördliche Richtung und kamen durch einen Wald, der zeit seines Bestehens noch keine Axt gesehen hatte. Hoch über uns verschränkten Äste und Zweige sich zu einem lebenden Dach, während unter einer dünnen, pulvrigen Schneeschicht ein Teppich aus Generationen von Laub und Nadeln lag. Für meine durch die Alte Macht geschärften Sinne besaßen die Bäume eine gespenstische Art von Leben, als hätten sie aufgrund ihres hohen Alters ein beinahe tierhaftes Bewusstsein entwickelt. Doch es war ein Bewusstsein der umfassenderen Welt aus Licht und Feuchtigkeit, Erde und Luft. Sie nahmen uns Menschlein nicht im Geringsten zur Kenntnis, weshalb ich mich auch spätestens gegen Nachmittag so bedeutungslos fühlte wie eine Ameise. Ich hätte nie geglaubt, dass ein Baum mich einmal seine Geringschätzung spüren lassen würde.
Während die Stunden vergingen, war ich bestimmt nicht der Einzige, der sich fragte, ob wir uns nicht vielleicht hoffnungslos verirrt hatten. Die Straße konnte schon vor Jahrzehnten von diesem uralten Wald einfach verschlungen worden sein, wobei die Wurzeln das Gefüge der Pflastersteine gesprengt und Blätter und Nadeln sie zugedeckt hatten. Was wir suchten, existierte möglicherweise gar nicht mehr, außer als verwischte Linie auf einer alten Landkarte. Der Wolf, wie immer ein großes Stück voraus, wurde als Erster fündig.
Das gefällt mir ganz und gar nicht, verkündete er.
»Die Straße liegt dort drüben«, rief ich nach vorne zu Kettricken. Sie folgte darauf mit dem Blick meiner ausgestreckten Hand, zuckte dann mit den Schultern und schwenkte mit ihren Jeppas in eine etwas westlichere Richtung ein. Wir mussten noch eine Weile marschieren, bis ich zwischen den Bäumen vor uns eine pfeilgerade Schneise ausmachte, wo ein Streifen Helligkeit durch das Dunkel des Waldes flutete. Kettricken führte die Lasttiere darauf zu.
Was stimmt damit nicht?
Nachtauge schüttelte sich am ganzen Leib, als käme er aus dem Wasser. Zu viel Mensch. Wie ein Feuer, um Fleisch darüber zu braten.
Ich verstehe nicht, was du meinst.
Er legte die Ohren flach an den Kopf. Wie eine große Macht, die bezwungen und dem Menschen dienstbar gemacht worden ist. Immer strebt das Feuer danach, sich aus der Knechtschaft zu befreien. So ist es auch mit dieser Straße.
Seine Erklärung ergab für mich keinen Sinn, aber wenige Schritte später hatte ich Gelegenheit, mir selbst ein Bild davon zu machen, als ich die Straße erreichte und an ihrem Rand stehen blieb.
Sie verlief fast wie ein gewaltiger Schnitt durch den Wald, lag etwa eine Stufe tiefer als der übrige Waldboden und pflügte sich pfeilgerade und vollkommen eben durch den Wald und sein Erdreich. Die Bäume links und rechts neigten sich darüber, doch keiner hatte mit seinen Wurzeln die Oberfläche aufgebrochen. Auch sah man keine Schösslinge, die das freie Terrain zurückeroberten. Der Schnee auf der glatten Fläche war unberührt, nicht einmal die hüpfenden Spuren eines Vogels waren zu erkennen. Seit dem ersten Schneefall war hier niemand unterwegs gewesen. So weit ich sehen konnte, hatte auch kein Wild die Straße überquert.
Ich tat den Schritt von der Böschung hinab auf die ebene Fläche.
Da war es plötzlich so, als geriete man mit dem Gesicht in herabhängende Spinnweben. Oder wie ein Stück Eis, das zwischen Hemd und Haut den Rücken hinuntergleitet. Oder wie nach einem Marsch durch klirrende Kälte die Hitze eines lodernden Herdfeuers. Verdutzt blieb ich stehen. Keiner meiner Reisegefährten schien etwas Ungewöhnliches zu bemerken, als sie von der Böschung auf die Straße hinuntersprangen. Merles einziger, leiser Kommentar lautete, dass der Schnee hier wenigstens niedriger lag und das Gehen nicht so mühsam war. Sie wunderte sich nicht einmal darüber, aus welchem Grund hier eigentlich weniger Schnee liegen sollte, sondern beeilte sich nur, zu der Kolonne der Jeppas aufzuschließen.
Weitere Kostenlose Bücher