Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
bin sicher, es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen waren. Nur ich war trotz meiner Müdigkeit hellwach und starrte aus weit geöffneten Augen in die vom rötlichen Widerschein der Glut erfüllte Dunkelheit. Um mich herum nur das Geräusch gleichmäßiger Atemzüge und draußen das Rascheln des Nachtwinds, der sanft durch die Zweige strich. Wenn ich hinausgriff, konnte ich Nachtauge spüren, der draußen wild umherstreifte und nebenbei auf diese oder jene leichtsinnige Maus lauerte. Friede und Stille des Winterwalds umgaben uns. Alles schlief, bis auf Merle, die Wache hielt. Keiner von ihnen konnte das lockende Murmeln des Gabenflusses hören, das täglich lauter in mir tönte. Ich hatte der Königin nichts von meiner anderen Furcht verraten, nämlich dass ich, wenn ich mit der Gabe nach Veritas griff, womöglich nie wieder zurückkehren, sondern mich in den Strom der Macht versenken und eins mit ihm werden würde. Allein die Vorstellung machte mich zittern und brachte mich an die Grenze des Erträglichen. Grimmig verstärkte ich meine Mauern und Wälle und errichtete jede nur mögliche und mir bekannte Barriere zwischen mir und dem Gabenfluss. So dienten diese Bollwerke in dieser Nacht nicht allein dazu, Edel und seinen Zirkel aus meinem Bewusstsein fernzuhalten, sondern ich wollte mich schlicht selbst dahinter einschließen.
KAPITEL 24
DIE GABENSTRASSE
W o liegt der wirkliche Ursprung magischer Kräfte? Hat man sie von Geburt an im Blut, wie manche Hunde die angeborene Fähigkeit besitzen, Fährten aufzuspüren, während andere dazu angelegt sind, Schafe zu hüten? Oder handelt es sich um eine Fertigkeit, die jeder sich aneignen kann, der entschlossen ist sie zu lernen? Oder ist der Stoff der Magie in den Steinen, dem Wasser und der Luft enthalten, so dass im Grunde schon ein Kind ihn mit jedem Schritt, mit jedem Schluck und mit jedem Atemzug in sich aufnimmt? Ich stelle diese Fragen ins Blaue hinein, ohne die geringste Vorstellung davon zu haben, wie die Antwort genau aussehen könnte. Und wenn man nun den Ursprung wüsste, wäre es dann möglich, nach Wunsch einen mächtigen Zauberer zu erschaffen? Könnte man ihn züchten, wie man Pferde züchtet, die besonders stark oder schnell sein sollen Oder könnte man sich ein Kind auswählen und mit der Schulung beginnen, bevor es noch überhaupt gelernt hat zu sprechen? Wäre es womöglich sinnvoll, sein Haus genau dort zu bauen, wo Luft und Erde mit Magie gesättigt sind, um dann aus diesem Reservoir zu schöpfen Diese Fragen erfüllen mich mit solchem Grauen, dass ich kaum den Wunsch verspüre, ihnen nachzuforschen, nur, wenn nicht ich, so wird es ein anderer tun.
Früh am Nachmittag gelangten wir zu dem breiten Weg, der auf der Karte eingezeichnet war; unser schmaler Pfad mündete in ihn hinein wie ein schmaler Rinnsal in einen großen Fluss. Wir folgten diesem Weg einige Tage lang. Manchmal führte er an kleinen, in schmalen Bergtälern eingebetteten Dörfern vorbei, doch Kettricken erlaubte uns nicht, dort haltzumachen. Begegneten wir anderen Reisenden, grüßte sie höflich, wehrte jedoch jeden Versuch einer Unterhaltung bestimmt ab. Falls man in ihr Eyods Tochter erkannte, ließ man es sich zumindest nicht anmerken. Dann aber kam ein Tag, an dem wir bis zum Abend keine einzige Menschenseele zu Gesicht bekamen, geschweige denn eine Siedlung oder auch nur eine einsame Hütte. Der Weg wurde um einiges schmaler, und die einzigen Spuren, die wir noch sahen, waren alt und von frisch gefallenem Schnee fast völlig zugedeckt. Im Laufe des nächsten Tages schrumpfte der Weg zu einer stellenweise kaum mehr als schattenhaft erkennbaren Linie zwischen den Bäumen. Einige Male ließ Kettricken uns zur Orientierung anhalten, und einmal mussten wir sogar ein gutes Stück zurückgehen und eine neue Richtung einschlagen. Welchen Zeichen Kettricken genau folgte, das vermochte ich dabei allerdings nicht herauszufinden.
Als wir an diesem Abend unser Lager aufgeschlagen hatten, nahm sie wieder die Karte heraus und studierte sie. Sie schien über irgendetwas im Zweifel zu sein, deshalb ging ich hin und setzte mich zu ihr. Ich stellte keine Fragen und bot nicht meinen Rat an, sondern betrachtete nur mit ihr zusammen die verblassten Markierungen auf dem Pergament. Nach einer Weile schaute sie zu mir auf.
»Wenn mich nicht alles täuscht, dann sind wir jetzt hier an diesem Punkt.« Ihr Finger zeigte auf den Endpunkt der alten Handelsstraße, der wir gefolgt waren. »Irgendwo
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