Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Zeichen auf Veritas’ Karte? Waren es Symbole, die Kettricken womöglich zu deuten verstand?
Ich verließ das Gemach während der hereinbrechenden Dämmerung und eilte schnell die Treppen hinunter, mitten durch die so überaus geschäftigen Geister hindurch, die derweil immer mehr an Substanz gewannen. Ich hörte ihre Worte nun viel deutlicher und erhaschte viel deutlichere Blicke auf die Tapisserien, die einst die Wände geschmückt hatten. Vielfach waren Drachen auf ihnen dargestellt. »Wo seid ihr, ihr Uralten?«, schrie ich fragend in die Steinmauern hinein und hörte das Wort den Treppenschacht hinauf- und wieder hinunterhallen.
Ich suchte etwas, worauf ich schreiben konnte. Die zerschlissenen Wandbehänge waren modrige Lappen, die bei der kleinsten Berührung zerflelen. Was es an Holz gab, war alt und verrottet. Ich brach die Tür zu einem der inneren Gemächer auf, weil ich hoffte, darin hätten sich die Dinge vielleicht besser erhalten.
Es war eine Art Archiv oder Registratur, an den Wänden befanden sich Regale mit kleinen Fächern, in denen sich Schriftrollen befanden. Sie sahen sehr wirklich aus, wie auch das Schreibzeug auf dem Tisch in der Mitte, doch schon unter dem Luftzug einer Berührung verwandelten sie sich in Staub. Meine Augen zeigten mir einen Stapel unbeschriebener Pergamentblätter, die auf einem Eckregal lagen; aber meine Finger stöberten nur in brüchigen, aschegleichen Stapeln, bis sie schließlich ein brauchbares Stück Pergament zutage förderten. Es war nicht größer als zwei Handbreit, steif und vergilbt, doch es war besser als gar nichts. Ein Glasfläschchen mit einem schwerem Stöpsel stand daneben und enthielt eingetrocknete Tinte. Die Holzgriffe der Schreibfedern waren den Weg alles Irdischen gegangen, aber die Metallspitzen hatten überdauert und waren lang genug, um sie ohne Verlängerung verwenden zu können. Mit all diesen Utensilien bewaffnet trat ich den Rückweg an.
Speichel machte die Tinte wieder einigermaßen nutzbar, während ich die Metallfeder auf dem Boden schärfte, bis sie wieder glänzte. Anschließend entfachte ich Veritas’ Feuer neu, denn der Himmel hatte sich inzwischen bewölkt, und im Turmgemach wurde es langsam dunkel. Ich kniete vor der Tafel, die Veritas gesäubert hatte, und übertrug so viel wie möglich von den Straßen, Bergen und anderen markanten Punkten auf mein kostbares Stück Pergament. Auf die Inschriften verwendete ich besonders große Sorgfalt. Vielleicht konnte ja Kettricken etwas damit anfangen. Unter Umständen fand sich so zum Beispiel eine Übereinstimmung, die uns weiterhalf, wenn wir meine primitive Karte mit der ihren verglichen. Das war unsere einzige, schwache Hoffnung. Draußen ging derweil endgültig die Sonne unter, und mein Feuer schwelte nur noch, als ich den letzten Strich tat. Weder Veritas noch Fedwren hätten meine Arbeit zu loben gewusst, doch es musste einfach genügen. Nachdem ich mich vom Trocknen der Tinte überzeugt hatte und nicht zu befürchten war, dass sie verwischte, schob ich das Pergament zusammengefaltet in mein Hemd. Ich wollte nicht riskieren, dass Regen oder Schnee meine Arbeit zunichtemachten.
Als ich schließlich den Turm verließ, war die Nacht bereits längst angebrochen. Meine geisterhaften Gefährten hatten ihren Arbeitstag beschlossen und waren nach Hause geeilt. Ich teilte mir die Straße mit Passanten, die ebenfalls auf dem Heimweg waren oder unterwegs zu einem abendlichen Vergnügen. Aus Wirtshäusern und Schänken drangen Licht und fröhliches Stimmengewirr. Es fiel mir zunehmend schwerer, hinter dem lebendigen Treiben die Wirklichkeit der leeren Straßen und verlassenen Gebäude zu sehen - um so deprimierender war es, mit einem wirklich knurrenden Magen an den unwirklichen gastlichen Stätten vorüberzugehen und sehen zu müssen, wie Geister sich an Speis’ und Trank labten und heiter ihre Freunde begrüßten.
Mein Plan gestaltete sich denkbar einfach. Ich wollte zum Fluss gehen und mich satt trinken und frisch gestärkt versuchen, den Weg zurück zum Platz mit dem Monument zu finden. Dort wollte ich irgendwo übernachten und früh am Morgen den Marsch zu den Bergen antreten. Wenn ich denselben Weg nahm, auf dem ich hierhergekommen war, rief vielleicht auch irgendetwas meine Erinnerung wach.
Ich kniete am Flussufer, schöpfte mit der hohlen Hand von dem kalten dunklen Wasser und trank davon, als wie aus dem Nichts der Drache erschien. Von einem Augenblick zum anderen war die dunkle
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