Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Schwingenpaar, oder sie haben gar keine Flügel und gehen auf zwei Beinen wie ein Mensch.
Eine Theorie behauptet, über sie gäbe es so wenig Aufzeichnungen, weil das Wissen um die Uralten zu jener Zeit Allgemeingut war. Genauso wie sich niemand bemüßigt fühlt, in einer Lehrschrift lang und breit zu erläutern, was ein Pferd ist, weil er sich damit der Lächerlichkeit preisgeben würde, so hat auch damals niemand daran gedacht, dass eines Tages Uralte aus dem Gedächtnis der Menschen verschwinden und zu mythischen Gestalten werden könnten.
Bis zu einem gewissen Grad erscheint diese Theorie logisch, doch man braucht einfach nur die vielen Schriften und bildlichen Darstellungen zu betrachten, die sich mit Pferden als Bestandteil des täglichen Lebens befassen, um zu erkennen, wie widersinnig jene Ansicht ist. Wären Uralte wirklich so selbstverständlich gewesen, würde man sie in den alten Schriften gewiss häufiger erwähnt oder abgebildet finden.
Es dauerte verwirrend lange, bis ich mich in der Jurte wieder mit meinen Reisegefährten vereint fand. Nach einem beinahe frühlingshaften Tag in der Stadt erschien mir die Nacht in den Bergen um so kälter. Wir alle hatten uns in unsere Decken gehüllt, während wir uns gegenseitig über das Geschehene ins Bild setzten. Sie erzählten mir, ich wäre in der vergangenen Nacht urplötzlich von der Kante des Abbruchs verschwunden, und ich berichtete ihnen von meinen Erlebnissen in der Stadt. Beiderseits gab es ein gewisses Maß an Skepsis. Ich fühlte mich einerseits gerührt, andererseits schuldbewusst wegen der Verzweiflung, in die mein Verschwinden sie gestürzt hatte. Merle hatte offensichtlich geweint, während Krähes und Kettrickens Gesichter verrieten, dass sie nicht zum Schlafen gekommen waren. Den Narren schien der Vorfall am meisten mitgenommen zu haben. Er wirkte ganz blass und still, und seine Hände zitterten. Wir hatten alle etwas Zeit gebraucht, um zur Besinnung zu kommen. Krähe hatte eine üppige Mahlzeit gekocht, und nur mit Ausnahme des Narren langten wir alle herzhaft zu. Er schien überhaupt keinen Appetit zu haben. Während die anderen nun um das Glutbecken saßen und sich meine Geschichte anhörten, lag er bereits in seinen Decken und hatte den Wolf als Wärmespender neben sich. Mir kam es vor, als sei er am Ende seiner Kräfte.
Nachdem ich mein Abenteuer bereits zum dritten Mal beschrieben hatte, bemerkte Krähe: »Eda sei Dank hattest du den Elfenrindentee getrunken, bevor du entführt wurdest, sonst hättest du wahrscheinlich den Verstand verloren.«
»›Entführt‹?«, hakte ich nach.
Krähe runzelte die Stirn. »Du weißt, was ich meine.« Sie blickte auf unsere fragenden Gesichter. »Durch den Wegweiser, oder was immer diese Pfeiler darstellen. Sie müssen irgendetwas damit zu tun haben.« Ihren Worten folgte ein abwartendes Schweigen. »Aber das ist doch offensichtlich. Er ist bei einem verschwunden und bei einem anderen wieder aufgetaucht. Er ist auf demselben Weg wieder zu uns zurückgekommen.«
»Aber weshalb ausgerechnet ich?«, wandte ich ein.
»Weil du als Einziger von uns für die Gabe empfänglich bist.«
»Sind die Wegweiser denn auch mit der Gabe erschaffen worden?«, fragte ich ganz offen.
Krähe begegnete meinem Blick. »Ich habe mir den Wegweiser bei Tageslicht angesehen. Er ist aus schwarzem Stein gehauen und durchzogen von breiten Streifen aus glitzerndem Kristall. Wie die Mauern der Stadt, die du beschrieben hast. Hast du beide Pfeiler berührt?«
Ich überlegte. »Ja, ich glaube schon.«
Sie zuckte die Schultern. »Nun, da hast du’s. Ein von der Gabe durchdrungenes Objekt kann die Absicht seines Schöpfers wie in einem Gedächtnis bewahren. Diese Pfeiler wurden errichtet, um das Reisen für jene einfacher zu machen, die sich auf die Wegweiser und ihre Gabe verstanden, nämlich die Eingeweihten, die Kundigen.«
»Ich habe nie von solchen Dingen gehört. Woher weißt du das alles?«
»Ich ziehe lediglich Schlussfolgerungen aus dem Offensichtlichen, weiter nichts«, erklärte sie kategorisch. »Und jetzt gehe ich schlafen. Ich bin müde. Wir alle haben die ganze Nacht und den größten Teil des Tages damit verbracht, nach dir zu suchen. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Und wenn wir einmal ausruhen wollten, hörte dieser Wolf nicht auf zu heulen.«
Heulen?
Ich habe dich gerufen. Du hast nicht geantwortet.
Ich habe dich nicht gehört, sonst hätte ich es versucht.
Ich hatte Furcht, kleiner Bruder.
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