Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
ankam, hatte ich sowohl meinen Mantel als auch mein Hemd geöffnet. Das Licht in dem Aufgang strömte aus Fenstern, die kaum breiter waren als Schießscharten. An einem Fenster stand eine junge Frau und schaute auf die Stadt hinunter, und mir entging keineswegs der Ausdruck von Hoffnungslosigkeit, der sich in ihren lavendelfarbenen Augen abzeichnete. Sie wirkte so real, dass ich mich entschuldigte, als ich hinter ihr vorbeiging. Die Treppe bestand aus mehreren Läufen. An jedem Absatz zweigten Türen ab, die jedoch verschlossen waren. Die Zeit schien hier oben gnädiger mit den Dingen gewesen zu sein. In der trockeneren Luft waren das Holz und das Metall der Schlösser weitgehend vor Verfall bewahrt geblieben. Ich fragte mich, was sich hinter den Türen wohl befinden mochte. Funkelnde Schätze? Uraltes Wissen? Oder nur modernde Knochen? Keine einzige Tür gab nach, als ich daran rüttelte, und so hoffte ich im Weitergehen, oben angekommen nicht ebenfalls vor einer verschlossenen Tür zu stehen.
Die ganze Stadt war mir ein Rätsel. Das wimmelnde Geistertum, das sie widersinnigerweise mit Leben erfüllte, stand in unerklärlichem Widerspruch zu ihrer tatsächlichen Verlassenheit. Ich hatte nirgends Spuren von Kämpfen oder absichtlicher Zerstörung gesehen. Die Trümmer und Ruinen schienen von Erdbeben angerichtet worden zu sein. Und dann, diese verschlossenen Türen - niemand schließt eine Tür ab, wenn er nicht vorhat wiederzukommen. Wohin waren sie alle gegangen, die Bürger dieser Stadt, die hier nun nur noch als Geister herumspukten? Weshalb war diese Stadt am Fluss verlassen worden? Und wann war dies geschehen? War dies etwa die Heimat der Uralten gewesen? Waren sie die Drachen, die ich unten an der Mauer gesehen hatte und in dem Fensterbild? Manche Menschen mögen die Herausforderung lieben, aus zerstückelten Einzelteilen das Bild eines Ganzen zusammenzufügen, aber mir verursachte es nur hämmernde Kopfschmerzen; dazu kam noch mein nagender Hunger, der sich seit Tagesanbruch immer bemerkbarer gemacht hatte.
Zu guter Letzt trat ich dann tatsächlich ins obere Turmgemach.
Es war rund und hatte ein Kuppeldach. Die Wände des Raumes setzten sich aus sechzehn Feldern zusammen, acht waren aus dickem Glas, die mit der Zeit unter einer streifigen Schmutzschicht erblindet waren. Eines davon war zerbrochen; die Scherben lagen sowohl innen auf dem Boden als auch draußen auf dem schmalen Sims, der um den Turm herumführte. Ein großer, runder Tisch hatte offensichtlich einst dieses Gemach beherrscht. Nun lagen hier nur noch Trümmer, während in der Geisterwelt zwei Männer und drei Frauen dastanden - alle mit Zeigestöcken bewaffnet -, auf den Geistertisch wiesen und hitzig über etwas diskutierten. Einer der Männer schien ziemlich ärgerlich zu sein. Ich ging um den Tisch und die geisterhaften Wesen herum. Eine schmale Tür ermöglichte es mir, auf den Sims hinauszutreten. Er hatte ein Geländer aus Holz, aber ich traute ihm nicht, sondern unternahm an der Wand entlang einen langsamen Rundgang um den Turm, wobei ich zwischen Staunen und Angst hin- und herschwankte. Im Süden eröffnete sich meinen Blicken ein weites Flusstal, es war abgeschlossen von einem Saum dunkelblauer Berge, die den fahlen Winterhimmel säulenhaft stützten. Im Vordergrund des Panoramas wand sich der Fluss gleich einer fetten, trägen Schlange durch das Tal. In der Ferne entdeckte ich weitere Städte und Dörfer an seinen Ufern. Hinter ihm erstreckte sich in einer weiten Senke eine grüne, flache Landschaft, die dicht bewaldet oder mit zahlreichen Gehöften und Landgütern durchsetzt war, je nachdem wie ich meinen Kopf schüttelte, um die geisterhaften Erscheinungen zu verjagen. Dann sah ich eine breite schwarze Brücke, die den Fluss überspannte, und dahinter die Straße, die wieder von der Stadt fortführte. Wohin wohl? Für einen flüchtigen Augenblick sah ich in weiter Ferne Türme leuchten. Ich verdrängte die Geister aus meinem Bewusstsein und erblickte stattdessen einen See, von dessen Oberfläche im Wintersonnenschein Dunstschwaden aufstiegen. War Veritas irgendwo dort draußen?
Ich ließ den Blick weiterwandern, und das zuerst nach Südosten, und was ich dort sah, verschlug mir im ersten Moment den Atem. Vielleicht lag dort die Antwort auf einige meiner Fragen. Ein ganzer Teil der Stadt war verschwunden. Einfach spurlos verschwunden. Keine Ruinen, keine niedergebrannten schwarzen Trümmer. Ein gewaltiger Spalt klaffte dort in der
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